Die Unsitte, von Bibliothekskunden zu sprechen und zu schreiben, beschäftigt mich schon etwas länger. Hans-Christoph Hobohm bot sogar eine Fortbildung zum Thema (“König Kunde in der Bibliothek?“) an, die sich allerdings eher auf Bibliotheksmarketing konzentriert hat. Auf der siebten Seite seiner Begleitmaterialien (PDF) zu dieser Veranstaltung stellt er “alte” und “neue” Begriffe gegenüber. Zum Beispiel “Leser” vs. “Kunde”. Leider wird der Begriff des Kunden auf den Folien nicht definiert. Ich vermute, dies geschah auch während der Fortbildung nicht. Zumindest wird ebd. auch der Begriff “Nutzerbindung” gebraucht; eine einheitliche Begriffsverwendung ist nicht zu erkennen. Im ebenfalls von Hobohm erstellten SERVQUAL-Fragebogen ist die Rede von Benutzern. Das sind dann schon 3,5 Begriffe für ein und die selbe Person.
Wer ist das, an dem wir Dienst leisten? Seit Jahren schwelt diese Diskussion im sozialen Sektor, war Thema von Diplomarbeiten und zahllosen Artikeln. Kann man die Debatte für die sozialen Bereiche inzwischen als weitgehend abgeschlossen betrachten, so muss man feststellen, dass im Bibliothekswesen Begrifflichkeiten kaum hinterfragt werden. Immer häufiger hört und liest man, wie die Menschen, mit denen wir Tag für Tag umgehen, abwechselnd als Nutzer, Benutzer, Leser oder Kunden bezeichnet werden.
Im sozialen Sektor hat hauptsächlich die Bertelsmann-Stiftung nachhaltig dafür sorgen können, dass nicht mehr von Klienten oder Patienten die Rede ist, sondern von Kunden. Der Effekt ist deutlich: Es wird nur noch geleistet, für was unmittelbar gezahlt wurde. Im Bibliothekswesen zeigt sich (unter maßgeblicher Beteiligung wiederum der Bertelsmannstiftung, vgl. Böckelmann/Fischer: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums. Frankfurt, 2004) der gleiche Effekt: Der gesellschaftspolitische Auftrag der Bibliotheken gerät aus dem Fokus. Nutzungsgebühren werden er- oder angehoben und Teile der Bevölkerung faktisch von der Bibliotheksnutzung ausgeschlossen.
Aber ist man schon ein Kunde, wenn man Bibliotheksgebühren bezahlt? Ein Kunde setzt einen Markt voraus. Ein Markt ist das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage. Ist eine Marktsituation gegeben, wenn es nur einen Anbieter gibt? Und sind Kunden wirklich Kunden, wenn sie nur einen kleinen Teil der von ihnen verursachten Kosten begleichen?
Klaus Döhmer hat sich in einem leider nicht online zugänglichen Artikel einmal mit dem Thema “Benutzer versus Kunde” (aus Cobabus: Bürgerrechte und Bibliotheken) beschäftigt und diese Aspekte aufgegriffen. Eine umfassende Diskussion darüber, mit wem wir es eigentlich zu tun haben, steht allerdings noch aus. Bislang halte ich es in dieser Beziehung mit Walther Umstätter:
“Sie [die Bibliothek] ist keine Buchhandlung, und darum ist es auch etwas problematisch von Kunden zu sprechen – auch wenn unsere Nutzer kundig sein sollten ;-).”
(Inetbib, 10. Januar 2006)