Im Tagesspiegel schreibt Amory Burchard über den Umgang von Bibliotheken mit plagiierten Dissertationen. Im Artikel “Guttenberg & Co. bleiben im Regal” beschreibt sie die großen Mühen der Universitäten, die betrügerischen Promotionen aufzuspüren. Dann:
Doch bis in die Bibliotheken reicht die Selbstreinigung der Wissenschaft nicht. Während die betroffenen Wissenschaftsverlage beanstandete Titel umgehend aus dem Programm nehmen, bleiben die plagiierten Werke in den Regalen. Sie werden nicht einmal durchgehend und transparent als Plagiate gekennzeichnet, wie Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der HU, auf Anfrage eingesteht. Im Fall Guttenberg wird nur gewarnt, wer die Dissertation über den Online-Katalog sucht. Als Anmerkung steht dort in zwei klein gedruckten Zeilen: „Entzug des Doktorgrades am 23. Februar 2011 durch die Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth.“
Beschrieben wird weiterhin, dass es DBV-Position sei, beanstandete Bücher nicht aus dem Verkehr zu ziehen, […] auch […] wenn Autoren dies selber wünschen.
Natürlich! Burchard suggeriert, ein Bibliothekswesen sei wünschenswert, das erhebliche Eingriffe in die Schreibung der Wissenschaftsgeschichte vornimmt. Wenn die Dissertation Guttenbergs wissenschaftlich nicht mehr wahrgenommen wird, ist es jedoch selbstverständlich nicht Aufgabe der Bibliotheken, dies zu gewährleisten. Die Zeiten, in denen BibliothekarInnen bestimmen, was ihren Nutzern zuträglich ist, sind hoffentlich weitgehend vorbei.
Würden wir Bibliothekswesen versuchen, Werke, die nicht nach wissenschaftlichen Standards entstanden sind, aus dem Bestand zu entfernen, hätte dies mindestens zwei fatale Konsequenzen.
Zuerst würden wir, wie oben beschrieben, die Wissenschaftsgeschichte (und in vielen aktuellen Fällen auch die Erforschung der politischen Geschichte) erschweren oder sogar unmöglich machen. Darüber hinaus würden wir suggerieren, dass alle in Bibliotheken verfügbar gemachten Werke nach allen Regeln der Wissenschaft korrekt sind. Können wir das gewährleisten? Ein lachhafter Gedanke.
D’accord, aber als plagiiert muss man die Werke kennzeichnen, so viel man liest wird diese wichtige Auszeichung nicht immer ernst genommen.
Ich stimme zu. Gleichwohl würde eine sinnvolle Praxis natürlich nur fordern, dass Bibliothekswesen das aus den Regalen entfernen, was zuvor von einer anderen Institution, etwa der beurteilenden Uni, verworfen worden ist. D.h. die Suggestion würde nicht darin bestehen, dass alles Vorhandene nicht zu beanstanden war, sondern das alles Vorhandene nicht beanstandet wurde. Auch das scheint mir aber schlechterdings nicht zu leisten. Unabhängig davon sehe ich es genauso, dass es einer Institution gut ansteht, auch das Missratene zu behalten, die sich selbst als Gedächtnis versteht. Denn Dokument der Zeitgeschichte ist es allemal.