Konstanzer Studenten ohne soziales Gewissen?

Eine harte Überschrift, aber angesichts der Sachlage muss man diese Frage stellen. Worum geht’s?

Die Universitätsbibliothek Konstanz wurde aufgefordert, ein Konzept für Benutzungsgebühren für externe Nutzer vorzulegen. Die Konstanzer Bibliotheksdirektorin Petra Hätscher schreibt dazu in Inetbib:

Wir haben eine Jahresgebühr von 20,– € vorgeschlagen mit Ausnahmeregelungen für (1) Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, (2) Schüler, Auszubildende und Studierende anderer Hochschulen sowie (3) Mitglieder des Vereins der Ehemaligen der Universität Konstanz. In der entscheidenden Senatssitzung haben die Studierenden eine Erhöhung der Gebühr auf 56,– € beantragt sowie die Streichung der Befreiung für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Diesem Antrag ist der Senat mit großer Mehrheit gefolgt.

Welchen Vorteil hat die Studentenschaft davon? Möchte sie sich unliebsame Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt vom Leibe halten? Sollen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern deswegen der Zugang zur Bibliothek erschwert werden? Dass sich die Studierenden als soziale Elite und progressive Fürsprecher der Minderprivilegierten betätigen, wie es z.B. im Zuge der oft der Fall ist – man denke nur an kann die letztjährigen Demonstrationen in Frankreich. Martin Keßlers Kick it like Frankreich kann wohl nur noch als Sozialromantik und Wunschvorstellung abgetan werden, der Wikipedia-Artikel Studentenprotest muss umgearbeitet werden. Noch steht dort bei den Parolenbeispielen:

…oder ironisch:

  • Nicht jedem das Gleiche, Bildung nur für Reiche!
  • Für soziale Selektion!
  • Eure Armut kotzt uns an!

Die Ironie kann man nun getrost streichen, zumindest wenn es um Konstanz geht.

In der Hauspostille Bibliothek aktuell (PDF) geht Hätscher genauer auf die Vorkommnisse ein und beschreibt auch die zahlreichen Protestnoten, die sie von Nutzern bekommen hat. Grundtenor:

  1. Die Gebühr sei unangemessen hoch. Fast alle Betroffenen schreiben, dass sie mit der Einführung einer moderaten Gebühr einverstanden wären, aber 56,–  ständen in keinem Verhältnis zu der Intensität bzw. eben gerade Extensität, mit der sie die Bibliothek
    nutzen würden. Die meisten sprechen von einer Nutzungsfrequenz von zwei- bis dreimal pro Jahr, da sind 56,– € ein stolzer Preis.
  2. Die Tatsache, dass Einkommensschwache, und das sind häufig Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, keine Befreiung von den Gebühren erhalten, stößt auf breites Unverständnis. Die Bibliothek / die Universität erscheint als unerbittlich und sozial ausgrenzend.

In den Emails, die auf S. 19f auszugsweise wiedergegeben sind, wird natürlich die Bibliothek selbst für diese unverschämt hohe Gebühr verantwortlich gemacht. Und hier kann man der Direktorin nur applaudieren, die die Öffentlichkeit sucht und offensiv darstellt, dass diese (hohe) Gebühr nicht von der Bibliothek gewollt ist. Bibliotheksgebühren an sich sind sind schon ein Unding, aber hier bekommen sie prohibitiven Charakter.

An diesem Beispiel zeigt sich übrigens sehr gut, wie weit es her ist mit dem “Bibliotheksdirektor als Unternehmer” und ähnlichen Floskeln. Die Bibliotheken sind keine Unternehmen, deren Leiter keine Unternehmer. Eigenverantwortliches Handeln findet nur in sehr eng umgrenzten Bahnen statt. Wenn sogar Benutzungsgebühren gegen den Willen der Bibliotheksdirektion erhoben werden können, ist auch der Kern des “Unternehmens Bibliothek” unfrei.

Mit den Konstanzer Bibliotheksgebühren befassen sich auch einige andere:
Eric Steinhauer liefert eine juristische Bewertung des Vorfalls. Er hebt hervor, dass die Ausgrenzung sozial schwacher Leser ist mit dem Sozialstaatsprinzip nicht zu vereinbaren ist. Die Studierenden stieß es sauer auf, dass sie mit ihren Studiengebühren für die Bibliotheksnutzung Externer zahlen müssten. Konsequenterweise sollte nun laut Steinhauer auch der Zugriff der Studenten auf die Bibliothek ebenfalls eingeschränkt werden:

Es ist nicht einzusehen, warum die Universität etwa die schöngeistigen Interessen angehender Juristen oder Biologen subventionieren soll.

Er zieht den Schluß, dass die neue Gebührenregelung […] – und das ist juristisch bedeutsam – eine unverhältnismäßige Einschränkung der Grundrechte der Informations- bzw. Wissenschaftsfreiheit der externen Benutzer darstellt.

Jakob Voss plädiert für einstweilige Zurückhaltung in der Debatte, solange nicht alle Fakten auf dem Tisch sind. Sein Posting wird vom verantwortlichen AStA Konstanz ausführlich kommentiert. Dort heißt es u.a.:

Es ist bis heute nicht klar warum Personen die die Bibliothek nicht zu ihrem primären Zweck, nämlich dem des Studiums, nutzen, einen geringen Beitrag leisten sollen als Studierende. Wenn wir in einem Land leben, das sich mehrheitlich dafür entschieden hat, an Bildung ein Preisetikett zu kleben, kann es nicht sein, dass diese Entscheidung dann nur Studenten tragen müssen.

Liebe Studierenden, unter Euch befinden sich doch sicherlich auch ein paar, die einen Taschenrechner bedienen können. Nun seht Euch mal den Etat Eurer Universität an, den Bestand Eurer Bibliothek und rechnet nach, was für einen Anteil ihr daran ‘erworben’ habt. Und wie Jakob ganz richtig schreibt:

Wenn aber die Studierendenschaft die Entscheidung, weitere Gebühren einzuführen, mitträgt, angeblich damit die Studenten nicht für externe Benutzer mitbezahlen, sind sie in die neoliberale Falle getappt und damit nicht besser als Befürworter von Studiengebühren.

Immerhin soll es laut Agentur für Arbeit Konstanz möglich sein, dass sich AlG-2-Empfänger die Bibliotheksgebühr erstatten lassen. Damit wird die Hürde für die Benutzung zwar in schwindelerregende Höhen geschraubt, aber das ist der zukünftigen Elite Deutschlands anscheinend gleichgültig. Aber selbst, wenn man rein egoistisch-pragmatisch an die Sache rangeht, sollte den AStA-Vertretern doch bewusst sein, wie sehr sie auf die Unterstützung der Öffentlichkeit im Kampf gegen die Studiengebühren angewiesen sind. Sympathien gewinnt man so nicht.

Weitere Meinungen zum Thema gibt es im Inetbib-Thread, Archivalia, und laut Bibliotheksdirektorin Hätschers frommen Wunsch demnächst auch in der Hauspostille der UB Konstanz. Mit hoffentlich besseren Nachrichten.