"Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, dass…"

Amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt, dass deutschsprachige Textkonsumenten auf keinen Fall mit Quellenangaben belästigt werden möchte. Und dass die dumm dämmernde Schar der Lesenden am liebsten zu Journalisten aufblickt, die über Geheimwissen aus mysteriösen Quellen verfügen.

Dies geißelte ich schon vor fast genau einem Jahr, als ein Open-Access-Artikel zu einer neu beschriebenen Affen-Art zwar überall besprochen, aber so gut wie nirgendwo verlinkt wurde. Da erwähnte ich noch positiv, dass Spiegel Online den ursprünglichen Artikel zum Nutzen der Leser verlinkt hatte.

Nun berichtet Spiegel Online über Doping im deutschen Profifussball. Eindeutig ein massentaugliches Thema! SpOn schreibt:

Die verdächtigen Blutwerte tauchen in einer Studie von Tim Meyer, dem Teamarzt der deutschen Fußballnationalmannschaft, aus dem Jahr 2011 auf. Diese wissenschaftliche Untersuchung wurde bislang nur in medizinischen Datenbanken veröffentlicht und kann von der breiten Öffentlichkeit nicht sofort eingesehen werden.

Historische Spritzen, CC: BY-SA von Lokilech
Historische Spritzen, CC: BY-SA von Lokilech

Das ist richtig, steckt der Artikel doch hinter einer Paywall. Einer kleinen Öffentlichkeit wäre der Artikel dennoch zugänglich. Und per Fernleihe auch einer größeren. Doch da der Titel des Artikels nicht einmal genannt wurde, bleibt dies nur zu vermuten. Ich gehe von diesem Artikel hier aus:

Meyer, Tim, & Meister, Steffen (2011). Routine blood parameters in elite soccer players. International journal of sports medicine, 32(11), 875–881. doi:10.1055/s-0031-1280776

Warum jetzt, im Sommer 2013, eine Studie von 2011 von gleich zwei Spiegel-Journalisten aufgearbeitet wird, weiß ich nicht so genau. Es ist aber zu vermuten, dass den beiden seit kurzem weitere Informationen vorliegen. Sie schreiben:

SPIEGEL ONLINE liegen die Zusammenfassung der Untersuchung und Steffen Meisters Dissertation zum Thema vor.

Wow! Wie die da wohl drangekommen sind? Ich habe da eine Vermutung! Bestimmt einer dieser Whistleblower, die neuerdings dauernd in der Tagesschau zu sehen sind! Oder vielleicht über den Open-Access-Server der Uni Saarland, auf der diese Arbeit seit dem 10. Juni 2013 für jeden Hinz und Kunz mit Internetzugang zu erreichen ist. Wer sich also ein eigenes Bild über den Sachverhalt machen möchte:

Meister, Steffen (2013). Der Einfluss leistungsportlicher Trainings- und Wettkampfbelastungen auf Routine-Laborwerte : Eine Querschnittsstudie an 467 Profi-Fußballspielern der deutschen Bundesligen. Abgerufen von http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:291-scidok-53951.

Aber den Link zu setzen, den Titel zu nennen oder einfach nur zu erwähnen, dass die Dissertation nicht nur Spiegel Online vorliegt, das wäre wohl zuviel des Dienstes am Leser.

Um welchen Artikel es hier geht? Ach, ist doch egal. Wer anderen Autoren Aufmerksamkeit verweigert, will sicherlich nicht gelesen werden.

Ach, was soll der Link-Geiz? Falls es doch jemanden interessiert, bitte hier klicken.

Infobib im Perlentaucher

Kleine Nabelschau zum Wochenende: Die Materialsammlung zum Heidelberger Appell wurde im Perlentaucher erwähnt:

Das Bibliotheksblog Infobib bietet seit einiger Zeit eine nützliche Linkliste zur Debatte um den “Heidelberger Appell”.

Schön, das Wort Bibliotheksblog mal in Mainstream-Medien zu lesen. Für die Hobby-SEOs: Die Auswirkungen auf den Traffic ist äußerst gering. Am selben Tag kamen nur 86 Besucher vom Perlentaucher. Zum Vergleich: Stefan Niggemeiers Hinweis führte fast 200 Besucher zur Materialsammlung.

Umgang mit korrigierten Artikeln in Verlagsarchiven

Christiane Schulzki-Haddouti macht sich Gedanken über die Nachhaltigkeit von Informationen, die in privatwirtschaftlichen Pressearchiven aufbewahrt werden. Aktueller Anlaß ist die Öffnung des Spiegelarchivs, in dem jedoch nicht alle Artikel enthalten sind. Umstritten ist wohl der über den Reichstagsbrand (dazu der Nachrichtendienst für Historiker), und schon entfernt ist der über die Barschelaffäre (dazu Robert Leicht bei Zeit Online).

Es stellt sich die Frage, wie sich der Umgang mit Online-Medienarchiven entwickeln wird. Ist eine Entfernung überhaupt zu rechtfertigen? Wird damit nicht auch ein Stück Mediengeschichte manipuliert? Online sind schnell ein paar Bits gelöscht – eine Entfernung aus einem Print-Archiv würde aber ernstlich niemand anstreben wollen.

Das wäre wohl auch alles andere als einfach, mal eben einen Spiegelartikel aus allen Bibliotheken verschwinden zu lassen.