Klaus Graf macht in Archivalia auf einen Meilenstein in der Causa Stralsund aufmerksam. Der Stralsunder OB Alexander Badrow (CDU) gab bekannt, dass ein von Nigel Palmer und Jürgen Wolf erstelltes Gutachten zur Rückabwicklung des Kaufes und zur Suspendierung der Archivleiterin führen soll.
Infobib wird laut Graf übrigens im online m.W. nicht verfügbaren Gutachten erwähnt:
Zu den Quellen des Gutachtens heißt es: “Unsere Stellungsnahme beruht auf der Durchsicht der in Stralsund vorhandenen handschriftlichen Bestandsverzeichnisse der Gymnasialbibliothek, der Recherche in Antiquariatskatalogen mit aktuellen Angeboten aus dem Stralsunder Konvolut, den einschlägigen gedruckten Publikationen (Zober 1860, Ewe 1994, Fabian-Handbuch) und der Kenntnisnahme der Blogs der letzten Wochen im Internet: u. a. Archivalia, Schmalenstroer.net und Infobib.de.”
Dazu sei noch einmal ausdrücklich darauf verwiesen, dass es Falk Eisermann war, der die ganze Angelegenheit – also im Wesentlichen Klaus Graf – mit einem Kommentar ins Rollen brachte.
Auch wenn Badrow nun zurückrudert und die Angelegenheit tatsächlich wieder in Ordnung bringen sollte, bleibt noch zu klären, wie es zum Verkauf kommen konnte. Als Stralsunder würde ich die Politik da nicht so schnell aus der Verantwortung lassen. Immerhin wurde der Verkauf in geheimer Sitzung von der Stralsunder Bürgerschaft genehmigt.
In der Frankfurter Rundschau und beim NDR wird inzwischen über die Stralsunder Missachtung von Kulturgut berichtet. Einen Überblick über die Vorgänge hatte ich hier schon einmal gegeben, aktuelle Informationen gibt es in Archivalia.
Eine der wesentlichen Neuerungen des Falls ist wohl die Petition “Rettet die Stralsunder Archivbibliothek”, die von Philipp Maass am 7. November ins Leben gerufen wurde. Da ich bislang keine Äußerungen des verantwortlichen Oberbürgermeisters Alexander Badrow (CDU) finden konnte, möchte ich mitlesende StralsunderInnen auffordern, sich zusätzlich zur Petitionsmitzeichnung doch direkt an ihn um Auskunft zu wenden.
Auf der “Aktuelles”-Seite des Stadtarchivs ist übrigens seit 15. Dezember 2011 nichts Neues zu verzeichnen. Abgesehen von einem Schimmelbefall und einem veritablen Skandal ist ja auch seither kaum etwas Ungewöhnliches passiert.
PS: Daß Stralsunder Kulturgut zerfällt, ist auch nichts Neues. Erinnert sei an die Einbäume von Stralsund. Vermutlich darf die MV-CDU demnächst wieder eine Pressemitteilung wie vor drei Jahren herausgeben, in der von einer “unglückliche[n] Verkettung von Fehlentscheidungen in der Vergangenheit” gefaselt wird. Weiter: “Eine Vorverurteilung Einzelner oder von Landesbehörden ist der nun unbedingt notwendigen Untersuchung nicht sachdienlich.” Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, wird dort offenbar auch als eher hinderlich empfunden.
Falk Eisermann machte in einem Archivalia-Kommentar darauf aufmerksam, dass bei einer “Veräußerung eines Teilbestandes der ehemaligen Gymnasialbibliothek” Stralsunds Hinweise auf den schlechten Zusatnd des Bücherbestands gegeben hätte. Der verlinkte Artikel “Bücherschätze im Bürgermeister-Büro” aus der Ostsee-Zeitung ist leider online nicht (mehr) zugänglich.
In der Folge hat Klaus Graf Kontakt mit der Stadt Stralsund aufgenommen und folgende Antwort des Pressesprechers erhalten:
Bestätigen können wir Ihnen deshalb, dass ein Antiquar die bisher im Stadtarchiv Stralsund befindliche Gymnasialbibliothek angekauft hat. Darüber hinaus können wir jedoch keine weiteren Informationen geben, da es sich hierbei um schutzwürdige Interessen handelt. Deshalb wurde dem Verkauf durch ein Gremium der Bürgerschaft im nichtöffentlichen Teil der entsprechenden Sitzung zugestimmt.
Stadtarchiv Stralsund (CC-BY-SA, von DarkOne)
Als schutzwürdig werden hier die Interessen der am Ausverkauf Beteiligten benannt, und nicht etwa das Interesse der Allgemeinheit an Kulturgut. Eric W. Steinhauer dazu, ebenfalls in einem Archivalia-Kommentar:
Ob die Unveräußerlichkeit von Archivgut in Archivgesetz auch für kommunale Archive in MV gilt, ist nach dem Gesetzeswortlaut eher fraglich. Darauf kommt es aber nicht an, weil sich aus der Satzung des Archivs eindeutig ein Veräußerungsverbot ergibt. Der Rat hätte vorher die Satzung ändern müssen, was in einer ÖFFENTLICHEN Ratssitzung zu beraten wäre. Allein das ist schon eine relevante Hürde. Ich stimme Herrn Graf im Ergebnis zu, dass der Verkauf der Bibliothek rechtswidrig war und damit ein Fall für die Kommunalaufsicht ist.
Harald Müller sekundiert (laut Archivalia) in Inetbib, dort konnte ich die Mail jedoch nicht finden:
Ich teile die rechtliche Einschätzung von Herrn Steinhauer: hier ist § 134 BGB anwendbar.
Der genannte Paragraph ist schlicht betitelt mit “Gesetzliches Verbot” und lautet ebenso schlicht:Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
In Inetbib wird der Vorgang in diesem Thread diskutiert. Die Blogpostings zu diesem Fall kann man recht gut über Plan3t.info recherchieren.
Ach ja: Stralsunds Bürgermeister, Alexander Badrow von der CDU, schreibt auf seiner Homepage:
Stralsund hat ein außergewöhnlich breites Kulturangebot. Dies gilt es zu erhalten und weiter zu entwickeln.
Es ist Badrow sehr wichtig, von den Nöten seiner Mitbürger zu erfahren: Stralsund kann nur vorankommen, wenn Ihre Meinung gehört wird. Deshalb können Sie sich hier direkt an Dr. Alexander Badrow wenden. Hier geht’s zu Herrn Badrow. Dass Stralsund sich zwar überall “Hansestadt” nennt, nun aber eine Bibliothek aus eben dieser Zeit verscherbelt, passt schließlich nicht so gut zusammen.