DFG antwortet auf Reuß & Rieble

Roland Reuß und Volker Rieble haben letzte Woche in der FAZ alarmistisch getönt, die Freiheit der Wissenschaft sei bedroht. Natürlich mal wieder durch die DFG. Wer es vergessen hat (werden bei den Infobib-Lesern nicht viele sein): Reuß war der mit dem Heidelberger Appell.

Nun gibt es eine ausführliche Antwort auf den Artikel von Reuß und Rieble: Stellungnahme zum Beitrag „Die Freiheit der Wissenschaft ist bedroht“ von Roland Reuß und Volker Rieble, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 19. Oktober 2011 (PDF)

Ein kurzer Auszug:

Reuß/Rieble: „Einzelne DFG-Mitarbeiter bieten bereits gewerbliche Seminare für er-folgreiche Antragstellung an“.
Kein bei der DFG beschäftigter Mitarbeiter beziehungsweise keine bei der DFG beschäftigte Mitarbeiterin ist in dieser Art tätig.

Der letzte Wille des Kreativen Kafka

Willenloser Kafka?

Marcel Weiss machte sich Gedanken über Franz Kafka, die Rechte des Urhebers und geistiges Besitztum. Konkret geht es ihm unter anderem darum, dass Roland Reuß im Heidelberger Appell forderte, es müsse allen Kreativen freigestellt bleiben, ob und wo ihre Werke veröffentlicht werden sollen. [1] http://www.textkritik.de/urheberrecht/index.htm

Reuß ist Experte für Franz Kafkas Werke und hat unter anderem die „Historisch-kritische Franz Kafka-Ausgabe“ und diverse Sekundärliteratur zu Kafka veröffentlicht.

Roland Reuß, der wohl ebenso wie jeder andere den gesellschaftlichen Gewinn darin erkennen kann, dass Max Brod sich dem Willen Kafkas widersetzte, findet es schlecht, dass Max Brod sich dem Willen Kafkas widersetzte.

Zur Erinnerung zwei letzte Briefe von Kafka an Max Brod:

Alles, was sich in meinem Nachlass (also im Buchkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch, zu Hause und im Büro, oder wohin sonstirgendetwas vertragen worden sein sollte und dir auffällt) an Tagebüchern, Manuskripten, Briefen, fremden und eignen, Gezeichnetem und so weiter findet, restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das du oder andre, die du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten.

Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der “Betrachtung” mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden). Wenn ich sage, dass jene fünf Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verlorengehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.

Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenem von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos, soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist (die meisten Adressaten kennst du ja, in der Hauptsache handelt es sich um …, vergiss besonders nicht paar Hefte, die … hat) – alles dieses ist ausnahmslos, am liebsten ungelesen (doch wehre ich dir nicht hineinzuschaun, am liebsten wäre es mir allerdings, wenn du es nicht tust, jedenfalls aber darf niemand andrer hineinschauen) – alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen, und dies möglichst bald zu tun bitte ich dich

Max Brod hat den Willen des Kreativen ignoriert. Ebenso wie Roland Reuß, der dies mit der “Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte” sogar vorsätzlich und systematisch angegangen ist.

Dazu Marcel Weiss:

Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, ist die, ob der Kompromiss zwischen den Rechten der Urheber und den Rechten der Gesellschaft, um bestmöglichen Fortschritt in allen kulturellen Bereichen sicherzustellen, heute noch gewahrt ist.

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir allerdings erst einmal realisieren, dass wir über einen gesellschaftlichen Kompromiss reden.

Matthias Döpfner über Open Access

Springer-Chef Matthias Döpfner will “abstruse Fantasien von spätideologisch verirrten Web-Kommunisten” verhindern. Und zwar geht es, wie kann es anders sein, um Open Access. Um es kurz zu machen: Döpfner hat zwar eine Meinung, aber leider keine Ahnung. Er geht davon aus, dass Open Access bedeutet, seine Qualitätsblätter kostenlos im Internet für alle verfügbar zu machen. Kurioserweise beklagt er auf N24.de auch nachlassende journalistische Qualität: “Viele verlassen sich bei ihren Recherchen vor allem auf Google und Wikipedia”.

Ach Herr Döpfner. Wenn Sie sich wenigstens auf Wikipedia oder Google verlassen hätten und nicht nur auf eigene Mutmaßungen, worum es sich bei Open Access denn wohl handeln kann, könnte ich Ihre Einwände vielleicht Ernst nehmen. So allerdings sind sie nichts weiter als abstruse Fantasien eines spätideologisch verirrten Print-Monarchisten.

Open-Access-Petition: Wissenschaft und Forschung – Kostenloser Erwerb wissenschaftlicher Publikationen

Lars Fischer (vermutlich der hier?) hat eine E-Petition eröffnet: Wissenschaft und Forschung – Kostenloser Erwerb wissenschaftlicher Publikationen

Text der Petition

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass wissenschaftliche Publikationen, die aus öffentlich geförderter Forschung hervorgehen, allen Bürgern kostenfrei zugänglich sein müssen. Institutionen, die staatliche Forschungsgelder autonom verwalten, soll der Bundestag auffordern, entsprechende Vorschriften zu erlassen und die technischen Voraussetzungen zu schaffen.

Begründung

Die öffentliche Hand fördert Forschung und Entwicklung nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung jährlich mit etwa 12 Milliarden Euro. Die Ergebnisse dieser Forschung jedoch werden überwiegend in kostenpflichtigen Zeitschriften publiziert. Es ist nicht angemessen, dass der Steuerzahler für die von ihm finanzierten Forschungsergebnisse erneut bezahlen muss.

Wegen der hohen Kosten und der Vielzahl wissenschaftlicher Zeitschriften sind Forschungsergebnisse nur in wenigen Bibliotheken einsehbar. Den meisten Bürgern ist der Zugang zu der von ihnen finanzierten Wissenschaft dadurch nicht nur erschwert, sondern de facto ganz verschlossen.

Den Bürger von der Wissenschaft auszusperren ist nicht nur schädlich, sondern auch unnötig. Andere Länder haben vergleichbare Vorhaben bereits umgesetzt. Die US-Amerikanische Behörde National Institutes of Health (NIH) verlangt, dass alle von ihr finanzierten Publikationen binnen 12 Monaten an einem zentralen Ort öffentlich zugänglich sind. Die grundsätzliche Struktur des wissenschaftlichen Publikationswesen verändert sich hierdurch nicht.

Bitte mitzeichnen! Es gilt ein Signal zu setzen, dass nicht nur anonyme und obskure Wissenschaftsorganisationen Open Access fordern, wie es die Damen und Herren rund um den Heidelberger Appell immer wieder fälschlich behaupten.

Matthias Kleiner und Roland Reuß zu Open Access und zum Heidelberger Appell

Harter Starker Tobak von Roland Reuß im Interview mit Forschung&Lehre, die einen Schwerpunktausgabe zu Open Access herausgebracht haben.

F&L: Sie meinen, die DFG gibt Gutachten mit Hinweis auf das gewünschte Ergebnis in Auftrag?

Roland Reuß: Ja, bei jemandem, der auch schon den englischen Open-Access-Publikationssektor schöngerechnet hat. Souveränität sieht anders aus. Offenheit und selbstkritisches Verhalten auch.

Reuß prophezeit auch, dass die OA-Initiative der Allianz der Wissenschaftsorganisationen am Grundgesetz scheitern wird. Ich bin gespannt auf die erste Verfassungsklage gegen das Max-Planck-Institut. Ansonsten wirft er mal wieder OA und Google in einen Topf. Man kann das nicht mehr mit Unkenntnis entschuldigen. Reuß sollte inzwischen wissen, wo die Unterschiede liegen. Ich bin auch müde, sie immer und immer wieder zu formulieren. Dazu Matthias Kleiner (DFG-Präsident) im zweiten F&L-Artikel zu OA:

Die Freiheit der Autoren ist durch Open Access nicht bedroht. Der „Heidelberger Appell“ hat leider sehr unglücklich, und wie ich finde auch unzulässig, die Debatten um die Google Book Search einerseits und um Open Access andererseits vermischt. Beim Open-Access- Publizieren geht es ausschließlich darum, dass Autoren als Urheber ihrer Werke den über das Internet für den Leser entgeltfreien Zugang zu ihren eigenen Schöpfungen gewähren. Somit entscheiden immer die Urheber über die Art und Weise einer Publikation.
Diesen ganz grundsätzlichen Punkt konnte ich inzwischen auch in einem Briefwechsel mit Vittorio Klostermann, der ja nicht nur Mit-Initiator des „Heidelberger Appells“, sondern auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger ist, klar stellen. Dadurch sind solche Missverständnisse für die Zukunft hoffentlich ausgeräumt.

Ein frommer Wunsch, der schon wegen der sturen Ignoranz der Heidelberger Missionare nicht in Erfüllung gehen wird.

Der Freitag feiert Open Access

Joachim Losehand, hierzublog positiv ausgefallen mit einer Replik zum Heidelberger Appell, äußerte sich heute noch einmal zum Thema. In seinem Artikel Der Zwang zur Freiheit jubiliert er:

In dem Wunsch, die Wissenschaftler zur Publikation unter den Regeln von Open Access zu verpflichten, drückt sich nicht ein Ruf nach Enteignung aus, sondern die Stimme der Freiheit.

Das kann man auch anders sehen. Wie z.B. Ben Kaden im IBI-Weblog.

Warum ich dazu ein eigenes Posting verfasse und diesen Artikel nicht einfach sozial bookmarke? Weil meine Materialsammlung rund um den “Heidelberger Appell” gerade die 200-Link-Grenze durchbrochen hat und in nächster Zeit nur noch unregelmäßig ergänzt wird. Die Beiträge ähneln sich doch sehr. Hinzugefügt wird nun nur noch, was mir originell genug oder aufgrund der Prominenz des Veröffentlichungsort irgendwie wichtig erscheint.

Bestandsgarantie für schlechte Arbeit?

Heise: Verleger fordern Bestandsgarantie für “Kulturgut Zeitung”

Angesichts sinkender Auflagen mahnte Bauer, junge Leser zu gewinnen. Zeitungen seien die besten Wissens- und Bildungsvermittler. “In einem horizontlosen Meer des Internets sind Zeitungen Leuchttürme.” Ähnlich wie in Rheinland-Pfalz und im Saarland sollten deshalb auch in Nordrhein-Westfalen Auszubildende mit Unterstützung der Betriebe Zeitungen zur Verfügung gestellt bekommen.

Wenn Zeitungen die besten Wissens- und Bildungsvermittler sind, dann schließe ich mich dem Chor der Abendlanduntergangspropheten stante pede an. In den letzten Wochen hatte ich die Gelegenheit, Zeitungsartikel zu einem Thema verfolgen zu können, in dem ich mich einigermaßen gut auskenne: die Debatte um Open Access und den Heidelberger Appell. Und man möge mir bitte eine Zeitung nennen, die sich zu diesem Thema geäußert und sich nicht blamiert hat. Ich habe vielleicht ein bißchen den Überblick verloren, aber mehr oder weniger grobe sachliche Fehler fanden sich eigentlich in jeder Zeitung. FAZ, taz, SZ, …

Wer eine Bestandsgarantie einfordert, sollte Qualität liefern. Dies ist in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht der Fall, wie übrigens auch die Umwidmung des Bildblogs in ein generelles Medienwatchblog belegt. Die Gefahr, dass schlechter Journalismus durch Bestandsgarantien geschützt wird, ist mir zu groß.

Die FAZ versteht den Unterschied!

In der FAZ:

Wie viel für die Autoren auf dem Spiel steht, soll die Liste dokumentieren, die innerhalb eines Monats auf nun 1300 Namen gewachsen ist. Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft sind dabei, darunter Hans Magnus Enzensberger, Siegfried Lenz, Daniel Kehlmann, Sibylle Lewitscharoff und Brigitte Kronauer sowie andere, ja „nahezu alle Büchner-Preisträger der letzten Jahre“. Unterschrieben haben aber auch Übersetzer, Fotografen und Geistes- wie Naturwissenschaftler. Ein intellektuelles Pfund also. Und das trotz (oder vielleicht wegen?) des enormen Widerstandes, der sich seit der Veröffentlichung des „Heidelberger Appells“ auf den Seiten des Reußschen Instituts für Textkritik geregt hat.

Wieviel Sachkenntnis hinter solch klangvollen Namen steht, konnte man kürzlich eindrucksvoll in den Tagesthemen besichtigen. Aber wenn hier schon mit Unterschriftenzahlen angegeben wird, empfehle ich interessierten Journalisten einen Blick auf die Petition for guaranteed public access to publicly-funded research results. Dort finden sich zur Zeit 27648 Unterzeichner, die für Open Access eintreten. Ich habe keine Zeit, die ganze Liste durchzugehen, aber klangvolle Namen sind dort mit Sicherheit auch enthalten.

Immerhin sieht man auch bei der FAZ ein, dass das ungefragte Kopieren („Copy and Paste“) [sic!] von Internetinhalten und das willkürliche Einscannen ganzer Bücher, wie es Google bisher ungehindert vorantreibt, nichts mit Open Access zu tun hat.

Eigentlich geht es im Artikel um einen Brandbrief, den Roland Reuß an Bundeskanzlerin und Bundespräsident geschrieben hat. Leider konnte ich den Brief selbst nicht ausfindig machen. Ist er irgendwo veröffentlicht und mir bislang entgangen?

Bodo Kirchhoff: Dichtung und Wahrheit in Googles Buchsuche

Nach Marek Lieberberg möchte sich nun Bodo Kirchhoff vor den Karren des Börsenvereins spannen lassen. In den Tagesthemen durfte er bar jeder Kenntnis der Materie sein Unbehagen an der “Proletarisierung” seiner Werke durch Googles Buchsuche zum Ausdruck bringen. Das sich jeder über Wissen hermacht, wie er will, ist offensichtlich nicht im elitären Sinne Kirchhoffs.

Ich konnte kein Werk von Kirchhoff ausfindig machen, dass über Googles Buchsuche tatsächlich vollständig verfügbar gemacht wurde. Bei allen (z.B. bei bei dieser Ausgabe des “Schundromans”) waren nur einzelne Abschnitte durchsuchbar, nicht einmal eine ganze Seite konnte ich mir anzeigen lassen. War das Kirchhoff nicht bekannt? Und ist ihm auch nicht bekannt, dass er selbst in die Proletarisierung in erheblich größerem Umfang eingewilligt hat, als er seine Einwilligung zur Veröffentlichung einer Leseprobe auf einer für ihn eingerichteten Webseite gab? Vielleicht ist er aber auch der abwegigen Meinung, dass man die von ihm genehmigte Leseprobe schließlich nur im Gesamtkontext der Webseite aufnehmen würde.

Die Tagesthemen übernehmen übrigens unkritisch das Wort “Urheberrechtsbruch”, was für mich ganz klar einer Vorverurteilung Googles gleich kommt. Wer sich über schlechten Journalismus und ahnungslose Dichter aufregen möchte, der sollte sich den Beitrag auf der Webseite der Tagesthemen ansehen. Der betreffende Teil fängt fast exakt in Minute 26 an.

Ein Kommentar zur Sendung findet sich auch bei Archivalia.

Joachim Losehand über Open und Closed Access

Viel zu schön geschrieben, um nur in der Materialsammlung zum Heidelberger Appell erwähnt zu werden, ist die Replik Joachim Losehands auf Marek Lieberbergs Requiem für die Kunst an und für sich:

Marek Lieberbergs Kunstkosmos ist bestimmt einem einzigen Naturgesetz: „Was nichts kostet ist nichts wert“. Die 1. Ableitung von Lieberbergs Gesetz lautet damit: „Kunst ist, wenn jemand daran verdient“, und die Forderung aus der 1. Ableitung ist: „Wenn etwas Kunst ist, muß auch jemand daran verdienen“. Und das, bitteschön, sollen die Verleger und Impresarii sein. Und so treiben sie uns, die von ihnen betreuten Urheber, deren Rechte sie unter Lebensgefahr verteidigen, in der Debatte um die Digitalisierung wie Schutzschilde vor sich her. Keine Finte zu lahm, keine Argumentation zu platt, kein Pinselstrich zu dick und keine Lüge zu schamlos, um nicht dafür herzuhalten, alte Pfründe, die so schön viel Geld abwarfen, zu bewahren.

Erschienen ist dieser schöne Text am und im letzten Freitag im März diesen Jahres. Vielen Dank an Sascha Fricke für den Hinweis!