Bibliothek und Wissenschaft im Entwurf der Digitalen Agenda

Netzpolitik hat dankenswerterweise einen Entwurf der Digitalen Agenda veröffentlicht. Natürlich sind ein paar Punkte aus hiesiger Blogperspektive von Interesse.

Nach viel Blabla (“digitaler Wandel”, “Zukunftsvision” etc.) soll es im Programmteil dann konkreter werden. Los geht es mit I. DIGITALE INFRASTRUKTUREN, was hier vorwiegend “Zugang zum Netz” bedeutet.

Dann geht es zu II. DIGITALE WIRTSCHAFT. Sichere Big-Data- und Cloud-Anwendungen sollen unterstützt werden. Hoffentlich diesmal etwas sicherer als die Fehlkonstruktion DE-Mail.

Darüber hinaus soll die Digitalisierung wichtiger Zukunftsmärkte unterstützt werden. Da die Kreativ- und Medienwirtschaft genannt ist, gehe ich davon aus, dass uns noch mehr brillante Ideen à la Leistungsschutzrecht bevorstehen. Immerhin:

Die Einführung einer EU-weiten Datenschutz-Grundverordnung, in der die Geltung des EU-Datenschutzrechts auch für nicht in der EU niedergelassene Internetunternehmen festgeschrieben werden soll (Marktortprinzip), wird mit Nachdruck unterstützt.

Gleich darauf folgt eine Ankündigung zur Anpassung des Urheberrechts an die rasante technische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft:

Wir passen die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Urheberrecht an die rasante technische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft unter gerechtem Ausgleich der betroffenen Interessengruppen an. Dieses Ziel verfolgen wir auch auf europäischer Ebene. Wir werden dazu die urheberrechtlich zulässige Nutzung von geschützten Inhalten zu Zwecken von Wissenschaft, Forschung und Bildung verbessern, die kollektive Rechtewahrmehmung entsprechend dem europäischen Rechtsrahmen stärken sowie an der Revision des europäischen Urheberrechts aktiv mitwirken.

Weiter unten wird noch einmal erwähnt, dass eine “allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt werden” soll.

Nun zum Abschnitt III. INNOVATIVER STAAT. Erst:

Unsere Rolle als großer IT-Beschaffer werden wir dazu nutzen, Innovationen und die Umsetzung von Sicherheit in der IT zu fördern.

Open Source und Verschlüsselung? Super! Aber dann:

Wir führen De-Mail flächendeckend ein.

Ja, was denn nun?

IV. DIGITALE GESELLSCHAFT

“Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen ausweiten” klingt gut, “Digitale Medienkompetenz stärken” auch. Ein interessanter Begriff ist in diesem Zusammenhang “safety by default”. Wie soll das realisiert werden? Mit Websperren? Mit bestimmten Tools, die über White- oder Blacklists den Zugang von Kindern und Jugendlichen einschränken sollen? Oder Zugang zu bestimmten Ressourcen nur nach Login und ordentlicher Registrierung, was sehr ernsthafte Konsequenzen für die Anonymität im Netz hätte? Wer sich anmelden muss, ist schließlich noch leichter überwachbar als ohnehin schon.

Na, stöbern wir ein bißchen weiter:

Wir wollen das Internet dazu nutzen, Familien durch innovative Vermittlungsplattformen von familienunterstützenden Dienstleistungen zu unterstützen.

Kann mir das mal jemand übersetzen und/oder mit Inhalt füllen?

Spannend wiederum klingt das Modellprojekt „Freiwilliges Soziales Jahr Digital”. Nun aber zum Kernpunkt:

V. BILDUNG, FORSCHUNG UND KULTUR

  • Eine neue Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft wird wesentlich zur Weiterentwicklung der Informationsinfrastrukturen (wie z.B. Archive, Bibliotheken, Forschungs- und Publikationsdatenbanken) beitragen.
  • Der von Bund und Ländern beschlossene Rat für Informationsinfrastrukturen wird als übergeordnetes Koordinierungs- und Beratungsgremium die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Intormationsinfrastruktur, z.B. durch Empfehlungen, unterstützen.
  • Die Vernetzung von Forschungsdatenbanken und Repositorien sowie virtuelle Forschungsumgebungen fördern wir im Rahmen eines eigenen Programms.

Es wird also Geld geben. Vermutlich lohnt es sich, schon mal Projekte zu entwerfen. Wenn man nur wüsste, welches Ziel die Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft haben soll…

Den nächsten Punkt möchte ich komplett zitieren:

2. Zugang zu Wissen als Grundlage für Innovation sichern
Wir werden die Rahmenbedingungen für einen ungehinderten Informationsfluss insbesondere der Wissenschaft verbessern durch

  • eine umfassende Open Access-Strategie, die den Zugang zu Forschungspublikationen und -daten verbessern und Anreize ausbauen soll;
  • Verbesserungen im Urheberrecht, um die Potenziale der Digitalisierung für Wissenschaft, Forschung und Bildung voll zu nutzen. Insbesondere soll eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt werden.

In der Ausgestaltung und der praktischen Umsetzung kann natürlich noch viel schief gehen. Aber sofern hier echtes Open Access – und nicht nur “gratis im Web ansehbar” – gemeint ist, sehe ich das als sehr gute Nachricht an.

Im Abschnitt Kultur und Medien geht es dann um Kulturgüter und Langzeitarchivierung:

  • Wir entwickeln eine übergreifende Strategie mit geeigneten technischen Lösungen und Standards zur langfristigen digitalen Bewahrung von Wissen, Informationen und Kulturgütern und schaffen die dafür notwendigen (urheber-)rechtlichen Rahmenbedingungen.
  • Wir stellen digitalisierte Kulturgüter und deren Metadaten offen und – soweit urheberrechtlich zulässig – möglichst unentgeltlich zur Verfügung.
  • Zur Digitalisierung von Kulturgut und zu seiner langfristigen digitalen Bewahrung entwickeln wir Strategien und Aktionspläne (u.a. zur Kino- und Filmdigitalisierung) und schaffen die notwendigen (urheber-)rechtlichen Rahmenbedingungen für die langfristige digitale Bewahrung.
  • Wir bauen die „Deutsche Digitale Bibliothek” weiter auf und aus.

Der abschließende Bereich IKT in der Entwicklungshilfezusammenarbeit klingt dann wieder nach Wirtschaftsförderung.

Fazit: Einiges wird angedeutet, aber sehr viel bleibt völlig unklar. Dass es eine “Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft” geben soll, ist ja prima, aber von dieser Agenda hätte ich eigentlich erwartet, dass sie zumindest grob skizziert, in welche Richtung es gehen soll. Laut Netzpolitik soll die finale Version am 20. August veröffentlicht werden. Hoffentlich trägt die via Netzpolitik.org hergestellte Öffentlichkeit dazu bei, dass die Verantwortlichen die Schwachstellen beseitigen.

"Deutschlands gestörtes Verhältnis zum Netz"

Martin Weigert schrieb auf Netzwertig über “Deutschlands gestörtes Verhältnis zum Netz” (später auch von Carta publiziert):

Egal, ob es um erneuerbare Energien und Umweltschutz, Errungenschaften in Hochtechnologie und Ingenieurskunst, Forschung und Wissenschaft, Arbeitnehmerrechte oder internationale Politik und Wirtschaftsgestaltung geht – überall strebt Deutschland führende Rollen an oder nimmt diese bereits seit langem ein. Und stets herrscht weitestgehend Konsens über diese Selbstverständlichkeit des Strebens nach Exzellenz. Dem Klischee nach sind Deutsche Perfektionisten, die sich ungern mit dem Mittelmaß zufrieden geben. Nicht selten agieren sie tatsächlich dementsprechend. Doch sobald es um die künftige Rolle des Landes in der globalen digitalen Welt geht, verschwindet das sonst so hohe Ambitionsniveau – abgesehen von der Intention einer flächendeckenden Breitbandvernetzung.

Und wie ernst es der Bundesregierung mit dem flächendeckenden Breitband ist, hatten wir hier ja schon einmal…

FDP verhindert Breitbandsozialismus im ländlichen Raum

Kleiner Rückblick zum Thema “Merkel und die flächendeckende Breitbandversorgung”:

29.6.2005 zum Deutschen Multimedia Kongress Digitale Wirtschaft:

Merkel will sich für eine stärkere Nutzung der Breitbandtechnologie einsetzen und fordert weitere Investitionen. Die CDU-Vorsitzende sieht gerade in ländlichen Gegenden ein hohes Nachrüstpotenzial für das Breitband – vor allem auch vor dem Hintergrund, dass ungefähr die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung auf dem Land lebt.

20.11.2008 zum IT-Gipfel:

“Ich habe auf europäischer Ebene vorgeschlagen, dass so wie China jetzt das Eisenbahn- und Straßennetz ausbaut, wir jetzt das Breitbandnetz ausbauen sollten”, sagte Merkel am Donnerstag beim dritten nationalen Informationstechnologie-Gipfel in Darmstadt. Zugleich kündigte sie an, allen Bundesbürgern in den kommenden drei bis vier Jahren flächendeckend Zugang zu schnellen Internet-Verbindungen zu ermöglichen.

02.03.2009 (müsste rund um die Cebit gewesen sein):

Merkel sagte, gleiche Bedingungen auf dem Land wie in den Städten seien eine wichtige Voraussetzung für die Zukunft der ländlichen Räume. “Was früher ein Elektrizitäts-, Wasser- oder Abwasseranschluss war, das wird in Zukunft auch ein Breitbandanschluss gewährleisten.”


08.12.2009 zum IT-Gipfel
:

Die Bundesregierung werde deshalb bis Sommer 2010 Vorschläge machen, wie auch dünn besiedelte Regionen schnellere Anschlüsse bekommen könnten. “Die Zukunft des ländlichen Raums wird davon abhängig sein”, sagte Merkel.

Und jetzt das neue Telekommunikationsgesetz. Dazu schreibt Konstantin Notz von den Grünen:

Eigentlich hatte der Entwurf der Regierung für die sogenannte Intercarrier-Abrechung in § 97, Abs. 4 des TKG eine maximal dreimonatige Speicherfrist vorgesehen. Um diese sinnvolle Beschränkung wurde hinter den Kulissen hart gerungen, auch vor dem Hintergrund, dass sich die CSU für einen Breitband-Universaldienst ausgesprochen hat. Die FDP hat der Nicht-Begrenzung offenbar zugestimmt, weil im Gegenzug der von Grünen, Linken, SPD und Teilen der Union geforderte Breitband-Universaldienst aufgegeben wurde. Die Bürgerinnen und Bürger haben den doppelten Schaden: Weder gibt es schnelles Internet für alle, noch angemessenen Datenschutz.

Merkel macht sich also fünf Jahre für eine flächendeckende Breitbandversorgung im ländlichen Raum stark und eine Partei kurz vor dem Untergang kippt das en passant?

Rösler dazu laut FAZ:

Moderne Kommunikationsnetze seien „das Nervensystem der Informationsgesellschaft“. Um den Breitbandausbau voranzutreiben setze die Regierung aber nicht auf Planwirtschaft. Der Staat gebe nur den Rahmen vor, für die neuen Netze müssten die Unternehmen sorgen. „Deswegen setzen wir auf eine bessere Anreizregulierung“, sagte Rösler.

Gottseidank konnte Rösler, der wackere Verteidiger der freien Welt, Planwirtschaft und quasisozialistische Verhältnisse verhindern! Der Held!

[u.a. via Netzpolitik.org]

Update:
Kommentar in der Zeit, “Gleichberechtigung im Netz fällt aus”. Fällt bei der FDP bei allen “Zumutungen”, die der deutschen Wirtschaft erspart werden sollen, eigentlich nicht auf, dass das Nichtvorhandensein einer flächendeckenden Breitbandversorgung auch eine Zumutung ist? Und zwar unter anderem auch für die deutsche Wirtschaft in eben diesen unterversorgten Gebieten?

Update II:
Spiegel Online: Schwarz-Gelb gibt Breitband für alle auf