Musterbeispiel: Warum Open Data?

Im American Economic Review wurde 2010 eine anscheinend vielbeachtete Studie über “Growth in a Time of Debt” publiziert. [1] Reinhart, Carmen M., and Kenneth S. Rogoff. 2010. “Growth in a Time of Debt.” American Economic Review, 100(2): 573-78.
http://dx.doi.org/10.1257/aer.100.2.573
Die Washington Post machte nun darauf aufmerksam, dass diese Studie nicht nur in der Austeritätsdebatte eine große Rolle gespielt habe, sondern auch methodisch nicht einwandfrei sei. In der Berechnung (in Excel), die der Studie zugrunde liegt, seien Berechnungsfehler begangen worden.

This discrepancy wasn’t caught earlier because Reinhart and Rogoff hadn’t made their full underlying data public. They only shared their spreadsheet with the Herndon, Ash and Pollin after the latter three tried to replicate the initial results and failed.

Hier geht es zur erwähnten Studie von Reinhart und Rogoff. Die Daten werden dort gleich zum Download angeboten, ebenso der R-Code, mit dem die zweite Auswertung gemacht wurde. Wer nun dort nach Fehlern suchen möchte, kann dies ohne Umstände machen und muss nicht den Studienautoren hinterherbetteln.

PS: Bei diesem Beispiel geht es mir nicht darum, ob sich durch Datenverfügbarkeit nun gegenteilige ökonomische Schlüsse ziehen lassen, sondern einzig um die Reproduzierbarkeit von Wissenschaft.

References

References
1 Reinhart, Carmen M., and Kenneth S. Rogoff. 2010. “Growth in a Time of Debt.” American Economic Review, 100(2): 573-78.
http://dx.doi.org/10.1257/aer.100.2.573

Nachrufe auf Elinor Ostrom

Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom starb am 12. Juni 2012.

Ostrom hier bei Infobib:

Nachrufe auf Elinor Ostrom:

Elinor Ostrom – Was mehr wird, wenn wir teilen

Auf Keimform.de findet sich eine ursprünglich in Das Argument erschienene Rezension zu Elinor Ostroms “Was mehr wird, wenn wir teilen” von Stefan Meretz.

Das Werk wurde von Silke Helfrich (Commons-Blog) herausgegeben, und wie Meretz richtig schreibt, ist ihr eigentlich eine Mitautorenschaft zuzuerkennen. Helfrich führt sehr umfangreich in Ostroms Gedankenkosmos ein. Und das ist auch der Sinn dieses Buchs. Es liefert einen Einstieg in die Welt der Allmendeforschung, der notwendigerweise unvollständig bleibt. Aber Spaß macht. Und daher gilt hier: Lesetipp!

Economists Online

Economists Online

Das europäische Bibliotheksnetzwerk NEEO – Network of European Economists Online geht mit dem weltweit umfassendsten Open-Access-Portal für wirtschaftswissenschaftliche Forschungsartikel online. Der neue Service umfasst zahlreiche Volltexte, Forschungsprimärdaten sowie vollständige Publikationslisten führender Wirtschaftsforscherinnen und -forscher.

Hier geht’s zu Economists Online. Das Portal wird offiziell während der Konferenz “Subject repositories: European collaboration in the international context” vom 28. bis 29. Januar 2010 in der British Library in London freigeschaltet.

[via IDW]

Joachim Losehand: Open Access senkt die Produktionskosten

Dank Joachim Losehand ist der Freitag inzwischen eine von wenigen Zeitungen, in denen ab und an etwas handfestes zu Open Access zu lesen ist. Aktuell: Open Access senkt die Produktionskosten.

Jedoch ist die eigentliche Publikation, sind die Schritte, die zur Veröffentlichung eines Textes führen, nicht der hauptsächliche Kostenfaktor wissenschaftlichen Arbeitens, im Grunde sind diese Kosten vernachlässigbar. Und zwar vernachlässigbar angesichts der Kosten, die zur Erstellung des wissenschaftlichen Textes, zur Gewinnung der Forschungsergebnisse führten. Die Produktion von Forschungsergebnissen und deren notwendiger Verschriftlichung ist mit Produktionskosten verbunden, welche in der Debatte um die Kosten von Open Access zu kurz kommen.

Richtig, das Thema Zugang zu wissenschaftlichen Informationen muss auch volkswirtschaftlich betrachtet werden. Nur dem Gejammer einiger Verlage und Appell(unter)schreiber zu lauschen führt definitiv nicht zu einer verbesserten Faktenlage. Daher ist Losehands Fazit uneingeschränkt zuzustimmen:

Hier valides und empirisch gesichertes Material zu erarbeiten und in die öffentliche Diskussion einzubringen, ist unzweifelhaft ein Desiderat der Forschung. In unser aller Interesse.

Schön, dass es gerade letzten Monat eine passende Studie zu diesem Thema veröffentlicht wurde: “Open Access – What are the economic benefits? A comparison of the United Kingdom, Netherlands and Denmark”. Der Autor John Houghton untersuchte verschiedene Publikationsmodelle in Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden. Er kommt zu folgendem Schluß:

In the three national studies the costs and benefits of scholarly communication were compared based on three different publication models. The modelling revealed that the greatest advantage would be offered by the Open Access model, which means that the research institution or the party financing the research pays for publication and the article is then freely accessible.

Adopting this model could lead to annual savings of around EUR 70 million in Denmark, EUR 133 million in The Netherlands and EUR 480 in the UK. The report concludes that the advantages would not just be in the long term; in the transitional phase too, more open access to research results would have positive effects. In this case the benefits would also outweigh the costs.

Deutschland gibt erheblich mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus als z.B. Großbritannien, daher ist für Deutschland auch mit erheblich höheren Einsparungen zu rechnen. Vielleicht sollte der Bund der Steuerzahler hier mal nachhaken? Zumindest sollte angesichts der vorliegenden Erkenntnisse die Position des Wirtschaftsministers eigentlich völlig eindeutig pro Open Access sein.

Öffentliche Bibliotheken ermöglichen Senkung des Hartz-IV-Regelsatzes

In einer realitätsfernen menschenverachtenden originellen Studie rechnen zwei Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftlern (Friedrich Thießen und Christian Fischer) vor, dass der Hartz-IV-Regelsatz bei nur 132 Euro liegen könnte. In der Studie, deren Grundlage ein gesundes, rational handelndes Individuum frei von Sucht oder anderen Erkrankungen oder Behinderungen ist, tauchen die Bibliothek gleich in zwei Kategorien des Warenkorbs auf:

Kommunikation:

Pauschale für schriftliche Kommunikation entsprechend EVS. Kein Kabelanschluss und Betreiberkosten in der Wohnung. Dafür Radio- TV-Anschluss sowie 20 Min./Tag Internet in Stadtbibliothek.

Freizeit, Unterhaltung:

Pauschale für Stadtbibliothek. Ermöglicht Zugang zu Internet, Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Unterstellt wird darüber hinaus eine Freizeitgestaltung in Form von Gesprächen, Spaziergängen, Nutzung von Parks, Teilnahme an öffentlichen Festen etc..

Hervorhebungen von mir. Die Kosten für beide Kategorien werden im Minimalfall mit 3 € veranschlagt (1 € für Kommunikation, 2 € für Freizeit, Unterhaltung), eine Jahresmitgliedschaft bei der Stadtbibliothek mit 7 €. Da in manchen Städten Empfänger von ALG II die Stadtbibliothek gratis nutzen können (z.B. in der Stadtbibliothek Hannover), könnte man diesen Betrag doch sogar noch ein wenig einkürzen!

Der Studie wurde eine Präambel hinzugefügt. In dieser heißt es:

Die folgende Studie hat Wirbel ausgelöst. Sie ist in der Presse und im Fernsehen teilweise sinnentstellt dargestellt worden. […] Die Studie hat daraus keine Konsequenzen abgeleitet.

Die Autoren fühlen sich offensichtlich mißverstanden. Bei aller Liebe: Wer so ein Papier mit solchen Zahlen veröffentlicht und auch noch an alle möglichen Presseverteiler gibt, hat es offensichtlich auf Pressewirbel angelegt und verdient nichts anderes, als öffentlich auseinandergenommen zu werden.

Die Studie ist online zugänglich, einmal komplett, und einmal als Zusammenfassung (beides PDF).

[via taz]