Innovation gegen anfänglichen Widerstand: Amazon-Recommender

Greg Linden beschrieb 2006, wie er die Recommender-Funktion bei Amazon gegen den Widerstand des Managements durchsetzte. Nachdem er die Idee dazu hatte, setze er erst einmal einen Prototypen auf und führte ihn verschiedenen KollegInnen vor.

While the reaction was positive, there was some concern. In particular, a marketing senior vice-president was dead set against it. His main objection was that it might distract people away from checking out — it is true that it is much easier and more common to see customers abandon their cart at the register in online retail — and he rallied others to his cause.

Linden wurde die Weiterentwicklung des Prototypen verboten. Er widersetzte sich diesem Verbot und bereitete eine Version vor, die im Echtbetrieb getestet werden konnte. Gegen sein Ansinnen, diesen Test dann auch durchzuführen, gab es keine schlagkräftigen Argumente. Im Testbetrieb zeigte sich dann, was für ein enorm wichtiges Instrument die Recommender-Funktion für Amazon sein könnte. Sein Fazit:

Creativity must flow from everywhere. Whether you are a summer intern or the CTO, any good idea must be able to seek an objective test, preferably a test that exposes the idea to real customers.

Everyone must be able to experiment, learn, and iterate. Position, obedience, and tradition should hold no power. For innovation to flourish, measurement must rule.

Mein Fazit: dito. Wer ausschließlich oder auch nur vorwiegend Top-Down denkt, schließt die Entwicklung einer innovativen Organisation aus. Dies ist eine Binsenweisheit, hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen.

[via Daniel Lemire]

Die Zukunft wissenschaftlicher Bibliotheken

Die Association of Research Libraries hat im Frühling 2010 ein Forschungsprojekt begonnen, in dem die Zukunft wissenschaftlicher Bibliotheken in verschiedenen Szenarien durchgespielt werden soll: “Envisioning Research Library Futures: A Scenario Thinking Project”. Aktuell sind im Rahmen dieses Projekts die “ARL 2030 Scenarios” erschienen. Diese Szenarien sollen ein “User Guide” (PDF) für wissenschaftliche Bibliotheken sein, in dem vier mögliche Zukunftsperspektiven aufgezeigt werden.

Scenario 1: Research Entrepreneurs

This is a future shaped by the rise of entrepreneurial research; individual researchers are the stars of the story. The path of technological developments has acted to empower researchers as creators of high-value new knowledge. Speed and innovation are rewarded by corporate sources of support. New conceptions of translating research to market have opened avenues for more entrepreneurially rooted models of business investment in research, including venture capital. Relative reductions in government funding have freed researchers to seek funding from new sources and have encouraged philanthropists to seek opportunities to influence knowledge creation by supporting researchers directly.

Scenario 2: Reuse and Recycle

This is a world where recycling and reuse predominate in research activities. Disinvestment in the research enterprise has cut across society. Ongoing scarcity of economic resources has led to an emphasis on reuse of basic research and repetitive applications of research findings to basic “business problems.” Government’s ability to fund research and research-intensive education has become limited to non-existent. As networked communication and other popular mass technologies evolve and spread knowledge widely, the perceived value of new information becomes reduced, accelerating the devaluation of the research enterprise and individual researchers.

Scenario 3: Disciplines in Charge

By 2030, research using computational approaches to data analysis dominates the research enterprise. The new research modalities prove to be powerful drivers for organizing the research enterprise to address grand research challenges and support technology evolution. As a result, scholars, whether humanists or scientists, have been forced to align themselves around data stores and computational capacity that address large-scale research questions within their research field.

Scenario 4: Global Followers

In this future the research enterprise is relatively familiar, but the cultural context that frames the enterprise shifts profoundly. Key structures such as universities, faculty, and graduate students persist, but the locus of the funding that drives the enterprise migrates from North America and developed western nations to nations in the Middle East and Asia. These Middle Eastern and Asian cultures, which are able to build technical infrastructures that catalyze breakthrough research and attract top talent, can organize the activity into projects of relevance to their societies. Existing organizations and individuals act to realign themselves with the new sources of support.

Die Szenarien werden jeweils durchgespielt am Beispiel der fiktiven Informationsspezialistin “Hannah Chen”. Wie plausibel die einzelnen Szenarien – allein oder in Kombination – sind, sei dahingestellt. Die Wichtigkeit, verschiedene Handlungs- und Reaktionsoptionen durchzuspielen, steht außer Frage. Vor allem, wer mehr als 10 Jahre bis zur Rente hat und/oder sich dem Informations- und Bibliothekswesen verbunden fühlt, sollte sich daher ohnehin Gedanken über die Zukunft der wissenschaftlichen Informationseinrichtungen machen.

Achtung: Die Szenarien sind hier nur äußerst verkürzt mit dem ersten Absatz des jeweiligen Kapitels wiedergegeben!

Weitere Infos:

Stephen Abram: The ARL Futures Scenarios
Adam Gordon: Libraries Are Showing the Way for Everyone
Jennifer Howard: 4 Very Different Futures Are Imagined for Research Libraries

Gartner: 10 Strategic Technologies for 2011

Gartner Identifies the Top 10 Strategic Technologies for 2011

  1. Cloud Computing
  2. Mobile Applications and Media Tablets
  3. Social Communications and Collaboration
  4. Video
  5. Next Generation Analytics
  6. Social Analytics
  7. Context-Aware Computing
  8. Storage Class Memory
  9. Ubiquitous Computing
  10. Fabric-Based Infrastructure and Computers
Glaskugel by Eva K. (CC: BY-SA)
Glaskugel by Eva K. (CC: BY-SA)

Fundstelle: Das Innovationsparadox

Aus “Innovation und Information : Wie in Unternehmen neues Wissen produziert wird” von Wolfgang Scholl, S. 5. Online als DOC erhältlich oder in Googles HTML-Fassung.

  • Konflikte über den besten Weg zum Erfolg sind eigentlich nicht überraschend, aber manchmal eskalierten sie derart, dass der Innovationsprozess zusammenbrach, selbst wenn ähnliche Prozesse anderswo oder sogar von denselben Fachleuten früher erfolgreich abgeschlossen wurden.
  • Andere Innovationsprozesse kamen einfach nicht voran und verliefen schließlich fast unbemerkt im Sande.
  • Es gab Innovationsfälle, bei denen nach jedem gelösten Problem neue auftauchten, so dass viel versprechende Innovationen als bittere Misserfolge endeten.
  • Grundlegende Erfindungen wurden zufällig, d. h. während der Verfolgung ganz anderer Ziele entdeckt.
  • Trotz sorgfältiger und aufwendiger Planung scheiterten Innovationen an einzelnen Fehleinschätzungen.
  • Andererseits verliefen einige wenige Innovationen so glatt, dass sich angesichts der vielen Schwierigkeiten in vergleichbaren Fällen eher die Kategorie „glückliche Umstände“ als „gutes Management“ aufdrängt.
  • Manche Innovation konnte nur konspirativ erfolgreich abgeschlossen werden, also gegen die Planungen und Entscheidungen des übergeordneten Managements.
  • Die meisten Innovationen haben für die Realisierung sehr viel mehr Zeit benötigt als ursprünglich geplant, eine Verdopplung der Zeit war fast normal.

Steven Johnson über Cafés und gute Ideen

Fast wäre die räumliche Gestaltung der perfekten Bibliothek Thema einer Session beim Bibcamp geworden. Stattdessen hat Steffi Suhr ihre Gedanken zu diesem Thema in einem Posting zusammengefasst.

Steven Johnson hat sich ebenfalls Gedanken über Raumgestaltung gemacht. Ausgehend davon, dass eine Idee nicht urplötzlich aus dem Nichts erscheint, meint er: An idea is a network.

Dies bezieht sich einerseits auf die neuronale Ebene, aber auch die äußere Umgebung sollte Netzwerke zwischen Menschen nicht nur ermöglichen, sondern fördern. Johnson selbst erklärt dies in seinem TED-Talk “Where good ideas come from”:

Der Zusammenhang zwischen Johnsons Begeisterung für Cafés und der Suche nach der perfekten Bibliothek liegt auf der Hand. Raum für Gespräche, für Innovationen zu bieten, ist und bleibt definitiv Aufgabe der Bibliotheksgestaltung.

Zusammenfassung der Inetbib 2010 in Zürich

Mary Jo Rabe möchte in ihrem neuen Blog ihre reflections on libraries, science fiction, and life in Germany darstellen. In einem ersten, sehr ausführlichem und ebenso gutem Posting bietet sie einen Abriß der Inetbibtagung 2010 in Zürich.

Im letzten Vortrag der Tagung hat Christoph Deeg übrigens ein bibliothekarisches Technologieradar angekündigt, dessen Start nun detaillierter angekündigt ist:

Wir möchten Sie alle herzlich einladen, mitzumachen. Folgende Unterstützung wird benötigt:

1. Für die Realisierung des Projektes werden finanzielle Ressourcen benötigt. Hierbei geht es u.a. um Kosten für den Betrieb und die Administration des Technologieradars sowie die Durchführung der Konferenz anlässlich der Übergabe des Berichtes.

2. Für die Durchführung der eigentlichen Delphi-Studie beginnen wir ab sofort mit der Suche nach interessierten und zugleich erfahrenen Spezialisten aus unterschiedlichsten Disziplinen. Wir möchten Sie alle einladen, diesbezüglich Vorschläge für die Expertengruppe einzureichen.

3. Für die Begleitung des Projektes wird eine aktive Community benötigt. Deshalb suchen wir nach interessierten Menschen, Institutionen und Unternehmen, die sich an dem Projekt inhaltlich und/oder strukturell beteiligen möchten.

[via Netbib]

Movers and Shakers 2010

Jedes Jahr werden im Libraryjournal die Movers and Shakers des Jahres benannt. Das sind Menschen, die die Zukunft des Bibliothekswesens formen (sollen). Dieses Jahr gab es 50 Preisträger in sechs Kategorien:

Advocates: They don’t waver in the effort to battle illiteracy, save library funding, help the unemployed, or fight censorship.

Innovators: These librarians create savvy solutions such as mobile apps, reference service à la Twitter, and a general store-like library.

Marketers: See libraries afresh through a Ben & Jerry’s library flavor, Library Minute vids, a Library Use Value Calculator, and more.

Tech Leaders: These techies take our services to the next level with a “technology petting zoo,” a mashup of images and maps, “The Techie Is IN” program, to name a few.

Community Builders: They break barriers to expand the library’s reach, with green initiatives, training, and outreach across geographic, cultural, and administrative lines.

Change Agents: No problem is too big for these librarians as they foster GED readiness for the 17-plus crowd, day-by-day literacy for preschoolers, health info for all, and more.

Es geht längst nicht nur um technische Innovationen oder “neue Produkte”. Zwar sind einige PreisträgerInnen auch wegen technischer Entwicklungen ausgezeichnet worden, wie z.B. Joann Ransom für Kete. Aber es werden eben auch Preise für Innovationen in anderen Bereichen vergeben. Zum Beispiel an Gretchen Caserotti, die Dewey als nicht kinderbibliothekstauglich befand:

She wanted to reorganize the picture books. Taking Dewey out of the equation, she scrapped alphabetical organization (how many four-year-olds will look for fairy-tale books by author?) and went for an intuitive approach—using colored tabs for categories like “Transportation,” “Folk and fairy tales,” etc. The next year saw an 80 percent jump in circulation, month to month, plus sky-high spirits among kids. “My heart soared when I overhead a four-year-old boy, pulling his grandfather’s arm, saying, ‘C’mon, Grandad! The trucks are the red books over here!’” she says.

Die Verteilung aller 450 Preisträger seit 2002 auf einer Karte kann man sich hier ansehen. Dabei fällt auf, dass nur wenige Preisträger außerhalb Nordamerikas beheimatet sind. Genauer gesagt:

  • 1x Australien
  • 1x England
  • 3x Niederlande
  • 1x Neuseeland

Der Rest der Welt starrt bewundernd nach Nordamerika und hinkt hoffnungslos hinterher? Spielt das deutsche Bibliothekswesen international wirklich keine Rolle? So ganz mag ich da nicht zustimmen, und bis zum 1. November darf sich jeder aufgerufen fühlen, die Movers and Shakers 2011 zu nominieren:

The editors of Library Journal need your help in identifying the emerging leaders in the library world. Our tenth annual round of Movers and Shakers will profile 50 or more up-and-coming individuals from around the world who are innovative, creative, and making a difference. From librarians to vendors to others who work in the library field, Movers and Shakers 2011 will celebrate the new professionals who are moving our libraries ahead.

Mir fällt auf Anhieb mindestens eine Handvoll bewegender Bibliothekswesen ein, die ich zweifellos nominieren könnte. Ich hoffe, das geht nicht nur mir so. Also nur keine Hemmungen!

Lemire: Cheaters are innovators

Daniel Lemire meint man dürfe nicht zu sehr nach Konsens suchen, wenn man etwas verändern will:

  • You do not convince existing journals to give more respect to this new field you created. You go out and create your own journals and conferences. John von Neumann did not wait for his colleagues to approve of his work on Computers. In fact, he had to use threats to get what he wanted.
  • You do not convince libraries to embrace e-commerce. You create Amazon.com.
  • You do not convince university librarians to stop worrying about what the publishers need. You go out and create Google Scholar.
  • You do not wait for Amazon.com’s management to approve the use of a recommender system. You do what Greg Linden did and squeeze the feature in during a test.
  • If you can prove Poincaré conjecture, you don’t wait for a journal to approve your work, you just post it on arxiv.

Lemires Blog ist häufig lesenswert, ob er nun für eine autorenzentrierte Wissenschaft plädiert oder aber die Wahrheit über Forschungsförderung herauszufinden versucht.