Das Damenprogramm

Félix Armand Heullant (1834-1888): Junge Dame im Salon

Wunderschönes Fundstück zur Rolle der Dame auf einem Kongreß.

Der Terminus technicus für diesen ebenfalls wichtigen Teil eines Kongreßprogramms ist erstaunlicherweise in jüngster Zeit so in Verruf geraten, dass er kaum mehr verwandt wird, obwohl er eigentlich unverändert zutreffend ist. Im wesentlichen wird das Damenprogramm doch als Aufmerksamkeit des Organisators für die begleitenden Damen angeboten, die sich nicht für das Vortragsprogramm interessieren. Warum sie sich durch diese höfliche Geste diskriminiert fühlen könnten, ist schwer verständlich. Der Organisator einer reibungslosen Tagung legt vielmehr Wert darauf, auch die Damen anregend zu unterhalten, die nicht wegen der wissenschaftlichen Aspekte zum Kongreß gekommen sind. Abgesehen davon kann das Damenprogramm durchaus einen multiplikativen Effekt haben, wenn es so gut gemacht ist, daß die Damen abends ihren Männern vorschwärmen, was diese so alles versäumt haben, und dadurch zu einer harmonischen Kongreßstimmung beitragen, weil die Männer sich für ihre Frauen freuen und zufrieden sind, daß sich ihre Damen nicht langweilen.

Zur Rolle der Ehefrau des Organisators bei der Planung des Damenprogramms:

Selbst wenn sie aus guten Gründen keine Rolle spielen will, ist es doch empfehlenswert, ihren kritischen Rat zum Damenprogramm nicht nur einzuholen, sondern auch weitestgehend zu berücksichtigen, denn sie weiß bestimmt besser als der Mann, wie lange eine Dame gerne Zeit hätte, um sich in aller Ruhe zum Beispiel für eine Kongreßparty schick zu machen, oder welches Besichtigungsprogramm Damen besonders interessieren könnte.

Aus welchem Jahr stammt das? Mitte Sechziger, frühe Siebziger? Nein.

Neuhoff, Volker (1995): Der Kongreß. Vorbereitung und Durchführung wissenschaftlicher Tagungen. 3., erw. Aufl. Weinheim: VCH. S. 114f.

Vielen Dank an Elena für den Hinweis!

Szenario: Biblioleaks in der Biomedizin

Im Journal of Medical Internet Research entwerfen Adam G. Dunn, Enrico Coiera und Kenneth D. Mandl ein Szenario, im dem das wissenschaftliche Publikationswesen dasselbe Schickal erleidet wie andere Branchen der inhaltevertreibenden Industrien: die Kunden organisieren sich ihren eigenen illegalen Zugang.

Is Biblioleaks Inevitable? – Journal of Medical Internet Research. Apr 2014; 16(4): e112.
http://dx.doi.org/10.2196%2Fjmir.3331

Abstract:

In 2014, the vast majority of published biomedical research is still hidden behind paywalls rather than open access. For more than a decade, similar restrictions over other digitally available content have engendered illegal activity. Music file sharing became rampant in the late 1990s as communities formed around new ways to share. The frequency and scale of cyber-attacks against commercial and government interests has increased dramatically. Massive troves of classified government documents have become public through the actions of a few. Yet we have not seen significant growth in the illegal sharing of peer-reviewed academic articles. Should we truly expect that biomedical publishing is somehow at less risk than other content-generating industries? What of the larger threat—a “Biblioleaks” event—a database breach and public leak of the substantial archives of biomedical literature? As the expectation that all research should be available to everyone becomes the norm for a younger generation of researchers and the broader community, the motivations for such a leak are likely to grow. We explore the feasibility and consequences of a Biblioleaks event for researchers, journals, publishers, and the broader communities of doctors and the patients they serve.

Ich halte das Szenario einer massenhaften Veröffentlichung – wie die Autoren – für wenig wahrscheinlich. Vor allem, da die meisten Wissenschaftler, die Interesse an so etwas hätten, ein gewaltiges Karriererisiko eingehen würden. Und die wenigsten dieser Wissenschaftler schuften jahrelang, um sich dann massive Klagen einzuhandeln, solange es Alternativen wie die Fernleihe gibt. Die ist zwar etwas langsamer als ein sofortiger Download, aber eindeutig geeigneter für risiko-averse Wissenschaftler.

Via Pubmed Central ist der Text des Artikels auch frei verfügbar.

Bibliothek und Wissenschaft im Entwurf der Digitalen Agenda

Netzpolitik hat dankenswerterweise einen Entwurf der Digitalen Agenda veröffentlicht. Natürlich sind ein paar Punkte aus hiesiger Blogperspektive von Interesse.

Nach viel Blabla (“digitaler Wandel”, “Zukunftsvision” etc.) soll es im Programmteil dann konkreter werden. Los geht es mit I. DIGITALE INFRASTRUKTUREN, was hier vorwiegend “Zugang zum Netz” bedeutet.

Dann geht es zu II. DIGITALE WIRTSCHAFT. Sichere Big-Data- und Cloud-Anwendungen sollen unterstützt werden. Hoffentlich diesmal etwas sicherer als die Fehlkonstruktion DE-Mail.

Darüber hinaus soll die Digitalisierung wichtiger Zukunftsmärkte unterstützt werden. Da die Kreativ- und Medienwirtschaft genannt ist, gehe ich davon aus, dass uns noch mehr brillante Ideen à la Leistungsschutzrecht bevorstehen. Immerhin:

Die Einführung einer EU-weiten Datenschutz-Grundverordnung, in der die Geltung des EU-Datenschutzrechts auch für nicht in der EU niedergelassene Internetunternehmen festgeschrieben werden soll (Marktortprinzip), wird mit Nachdruck unterstützt.

Gleich darauf folgt eine Ankündigung zur Anpassung des Urheberrechts an die rasante technische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft:

Wir passen die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Urheberrecht an die rasante technische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft unter gerechtem Ausgleich der betroffenen Interessengruppen an. Dieses Ziel verfolgen wir auch auf europäischer Ebene. Wir werden dazu die urheberrechtlich zulässige Nutzung von geschützten Inhalten zu Zwecken von Wissenschaft, Forschung und Bildung verbessern, die kollektive Rechtewahrmehmung entsprechend dem europäischen Rechtsrahmen stärken sowie an der Revision des europäischen Urheberrechts aktiv mitwirken.

Weiter unten wird noch einmal erwähnt, dass eine “allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt werden” soll.

Nun zum Abschnitt III. INNOVATIVER STAAT. Erst:

Unsere Rolle als großer IT-Beschaffer werden wir dazu nutzen, Innovationen und die Umsetzung von Sicherheit in der IT zu fördern.

Open Source und Verschlüsselung? Super! Aber dann:

Wir führen De-Mail flächendeckend ein.

Ja, was denn nun?

IV. DIGITALE GESELLSCHAFT

“Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen ausweiten” klingt gut, “Digitale Medienkompetenz stärken” auch. Ein interessanter Begriff ist in diesem Zusammenhang “safety by default”. Wie soll das realisiert werden? Mit Websperren? Mit bestimmten Tools, die über White- oder Blacklists den Zugang von Kindern und Jugendlichen einschränken sollen? Oder Zugang zu bestimmten Ressourcen nur nach Login und ordentlicher Registrierung, was sehr ernsthafte Konsequenzen für die Anonymität im Netz hätte? Wer sich anmelden muss, ist schließlich noch leichter überwachbar als ohnehin schon.

Na, stöbern wir ein bißchen weiter:

Wir wollen das Internet dazu nutzen, Familien durch innovative Vermittlungsplattformen von familienunterstützenden Dienstleistungen zu unterstützen.

Kann mir das mal jemand übersetzen und/oder mit Inhalt füllen?

Spannend wiederum klingt das Modellprojekt „Freiwilliges Soziales Jahr Digital”. Nun aber zum Kernpunkt:

V. BILDUNG, FORSCHUNG UND KULTUR

  • Eine neue Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft wird wesentlich zur Weiterentwicklung der Informationsinfrastrukturen (wie z.B. Archive, Bibliotheken, Forschungs- und Publikationsdatenbanken) beitragen.
  • Der von Bund und Ländern beschlossene Rat für Informationsinfrastrukturen wird als übergeordnetes Koordinierungs- und Beratungsgremium die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Intormationsinfrastruktur, z.B. durch Empfehlungen, unterstützen.
  • Die Vernetzung von Forschungsdatenbanken und Repositorien sowie virtuelle Forschungsumgebungen fördern wir im Rahmen eines eigenen Programms.

Es wird also Geld geben. Vermutlich lohnt es sich, schon mal Projekte zu entwerfen. Wenn man nur wüsste, welches Ziel die Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft haben soll…

Den nächsten Punkt möchte ich komplett zitieren:

2. Zugang zu Wissen als Grundlage für Innovation sichern
Wir werden die Rahmenbedingungen für einen ungehinderten Informationsfluss insbesondere der Wissenschaft verbessern durch

  • eine umfassende Open Access-Strategie, die den Zugang zu Forschungspublikationen und -daten verbessern und Anreize ausbauen soll;
  • Verbesserungen im Urheberrecht, um die Potenziale der Digitalisierung für Wissenschaft, Forschung und Bildung voll zu nutzen. Insbesondere soll eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke eingeführt werden.

In der Ausgestaltung und der praktischen Umsetzung kann natürlich noch viel schief gehen. Aber sofern hier echtes Open Access – und nicht nur “gratis im Web ansehbar” – gemeint ist, sehe ich das als sehr gute Nachricht an.

Im Abschnitt Kultur und Medien geht es dann um Kulturgüter und Langzeitarchivierung:

  • Wir entwickeln eine übergreifende Strategie mit geeigneten technischen Lösungen und Standards zur langfristigen digitalen Bewahrung von Wissen, Informationen und Kulturgütern und schaffen die dafür notwendigen (urheber-)rechtlichen Rahmenbedingungen.
  • Wir stellen digitalisierte Kulturgüter und deren Metadaten offen und – soweit urheberrechtlich zulässig – möglichst unentgeltlich zur Verfügung.
  • Zur Digitalisierung von Kulturgut und zu seiner langfristigen digitalen Bewahrung entwickeln wir Strategien und Aktionspläne (u.a. zur Kino- und Filmdigitalisierung) und schaffen die notwendigen (urheber-)rechtlichen Rahmenbedingungen für die langfristige digitale Bewahrung.
  • Wir bauen die „Deutsche Digitale Bibliothek” weiter auf und aus.

Der abschließende Bereich IKT in der Entwicklungshilfezusammenarbeit klingt dann wieder nach Wirtschaftsförderung.

Fazit: Einiges wird angedeutet, aber sehr viel bleibt völlig unklar. Dass es eine “Strategie für den digitalen Wandel in der Wissenschaft” geben soll, ist ja prima, aber von dieser Agenda hätte ich eigentlich erwartet, dass sie zumindest grob skizziert, in welche Richtung es gehen soll. Laut Netzpolitik soll die finale Version am 20. August veröffentlicht werden. Hoffentlich trägt die via Netzpolitik.org hergestellte Öffentlichkeit dazu bei, dass die Verantwortlichen die Schwachstellen beseitigen.

Zitier- und Review-Kartell in Taiwan, aber wissenschaftliches Fehlverhalten überall

Retractionwatch berichtete, dass SAGE 60 Publikationen zurückzog, da sie in einem Zitier- und Review-Kartell entstanden seien:

SAGE Publishers is retracting 60 articles from the Journal of Vibration and Control after an investigation revealed a “peer review and citation ring” involving a professor in Taiwan.

Fefe raunte daraufhin:

Immerhin passt das Weltbild an der Stelle, dass das natürlich Chinesen und keine Europäer waren.

Fefes Kommentare sind oft nicht wörtlich zu nehmen, er bittet ja nicht umsonst um Einreichung von Verschwörungslinks. Aber gucken wir uns diese Vermutung dennoch mal kurz an. Beim Überfliegen der letzten Fälle auf Retraction Watch scheint der Anteil von AutorInnen mit asiatisch klingenden Namen tatsächlich recht hoch zu sein. Interessanter als der ohne genauere Recherche ohnehin nur zu vermutende Ursprung der Nachnamen sind jedoch die jeweiligen Institutionen, an denen die Corresponding Authors beheimatet sind:

In dieser absolut nicht repräsentativen Stichprobe ergibt das:

  • 3x USA
  • 2x China
  • 1x Australien
  • 1x Taiwan

Ziemlich viel USA, ziemlich viel China. Und dies entspricht auch dem Anteil dieser Länder an der Gesamtproduktion wissenschaftlicher Publikationen, zumindest für das Jahr 2012.

Wo viel wissenschaftlich gearbeitet wird, findet also auch viel wissenschaftliches Fehlverhalten statt. Eine wenig überraschende Erkenntnis, und kein Skandal weit und breit.

Aufbau von und Diversität in Forschungsteams

Teil der Operation Frühjahrsputz 2014, in deren Verlauf angefangene und nie beendete Postings einfach so veröffentlicht werden.

Research: It’s more than just the science

Researchers outline not only why it’s important to pursue science collaboratively, but how to create and maintain science teams to get better research results.

Siehe auch:

Kendra S Cheruvelil, Patricia A Soranno, Kathleen C Weathers, Paul C Hanson, Simon J Goring, Christopher T Filstrup, and Emily K Read 2014. Creating and maintaining high-performing collaborative research teams: the importance of diversity and interpersonal skills. Frontiers in Ecology and the Environment 12: 31–38. http://dx.doi.org/10.1890/130001

Collaborative research teams are a necessary and desirable component of most scientific endeavors. Effective collaborative teams exhibit important research outcomes, far beyond what could be accomplished by individuals working independently. These teams are made up of researchers who are committed to a common purpose, approach, and performance goals for which they hold themselves mutually accountable. We call such collaborations “high-performing collaborative research teams”. Here, we share lessons learned from our collective experience working with a wide range of collaborative teams and structure those lessons within a framework developed from literature in business, education, and a relatively new discipline, “science of team science”. We propose that high-performing collaborative research teams are created and maintained when team diversity (broadly defined) is effectively fostered and interpersonal skills are taught and practiced. Finally, we provide some strategies to foster team functioning and make recommendations for improving the collaborative culture in ecology.

Simon J Goring, Kathleen C Weathers, Walter K Dodds, Patricia A Soranno, Lynn C Sweet, Kendra S Cheruvelil, John S Kominoski, Janine Rüegg, Alexandra M Thorn, and Ryan M Utz 2014. Improving the culture of interdisciplinary collaboration in ecology by expanding measures of success. Frontiers in Ecology and the Environment 12: 39–47. http://dx.doi.org/10.1890/120370

Interdisciplinary collaboration is essential to understand ecological systems at scales critical to human decision making. Current reward structures are problematic for scientists engaged in interdisciplinary research, particularly early career researchers, because academic culture tends to value only some research outputs, such as primary-authored publications. Here, we present a framework for the costs and benefits of collaboration, with a focus on early career stages, and show how the implementation of novel measures of success can help defray the costs of collaboration. Success measures at team and individual levels include research outputs other than publications, including educational outcomes, dataset creation, outreach products (eg blogs or social media), and the application of scientific results to policy or management activities. Promotion and adoption of new measures of success will require concerted effort by both collaborators and their institutions. Expanded measures should better reflect and reward the important work of both disciplinary and interdisciplinary teams at all career stages, and help sustain and stimulate a collaborative culture within ecology.