Vorratsdatenspeicherung wie Erfassung aller gelesenen Seiten in der Bibliothek

Liebe KollegInnen aus dem Bibliothekswesen, Jan Korte (Die Linke) hat heute im Bundestag einen Vergleich geliefert, der uns allen sehr plastisch machen sollte, warum die Vorratsdatenspeicherung (VDS), die die große Koalition aus CDU und SPD gerade durchpeitschen möchte, rundheraus abzulehnen ist:

VDS bleibt VDS, bleibt VDS, daher lehne man sie ab. Gehe um Totalerfassung des Kommunikationsverhaltens fast aller Bürger der BRD. Man muss nur 30 Jahre zurückblicken, um zu versinnbildlichen. Bibliothek-Mitarbeiter hätte jede Seite mitgeschrieben, die man gelesen hätte. Das sei mit demokratischer Rechtsstaat nicht vereinbar. Es gebe keinen nachweislichen Nutzen. BMJV könne keine Fälle benennen. „Das schleichende Gift der Überwachung„ führe zu Anpassung des Kommunikationsverhaltens. Er will auf SPD eingehen, CDU/CSU wären verloren.

Protokoll von Netzpolitik, Hervorhebung von mir, Umkehrung der Unschuldsvermutung und Totalüberwachung von der großen Koalition.

CSU, CDU und SPD beschließen anlasslose Massenüberwachung

Anderswo wurde schon alles gesagt. Die Argumente sind längst mehrfach ausgetauscht, es ist ja nicht einmal das erste Mal unter Angela Merkel, dass die Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurde.

Die Wut über Heiko Maas, dem offenbar Loyalität zu Sigmar Gabriel wichtiger ist als seine Überzeugung und der Schutz der Grundrechte, ist natürlich berechtigt. Gewollt haben das Gesetz vorwiegend die Unionsparteien. Unterstützt hat die SPD.

Also, liebe Mitglieder der GroKo-Parteien, könnt Ihr da innerparteilich nicht etwas machen? Oder austreten?

Vorratsdatenspeicherung ist natürlich rechtswidrig

Es ist tatsächlich passiert: der Europäische Gerichtshof hat die bisherige Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt! Kommentare gibt’s zum Beispiel von Heribert Prantl oder Anna Biselli. Letztere stellt fest:

Der am meisten zu bedauernde Punkt ist jedoch, dass der EuGH die Sinnhaftigkeit der VDS zur Strafverfolgung eingesteht.

Denn obwohl die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung unter anderem von einer Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht stark angezweifelt wird – und nicht nur dort – fordert der Bund Deutscher Kriminalbeamter nun, die Vorratsdatenspeicherung endlich rechtsgültig umzusetzen. Übrigens lehnt dieselbe Organisation die Überwachung durch die NSA strikt ab und fordert sogar strafrechtliche Verfolgung in dieser Angelegenheit. Ach ja…

Heilmann zur Vorratsdatenspeicherung

Thomas Heilmann durfte in der Zeit einen Kommentar zur Vorratsdatenspeicherung veröffentlichen, in dem einiges durcheinander geht. Laut Heilmann ist das Netz ein Sündenpfuhl, in dem uns jeder an die Datenwäsche will. Besonders gefährlich seien kommerzielle Datensammler wie Car-Sharing-Dienste oder WhatsApp.

Heilmann geht es in diesem Artikel vorwiegend um die ökonomischen Auswirkungen der Überwachung. So schreibt er:

Schon heute sind die Schäden gigantisch. So schätzt die EU, auf Grundlage des Norton Report 2013, die Kosten von Internetkriminalität in Deutschland auf vier Milliarden Dollar in nur einem Jahr. Die Verantwortlichen dafür kommen aus ganz unterschiedlichen Kreisen. Ökonomisch noch die geringsten Schäden verursacht mutmaßlich die NSA, obwohl ihr Datensammeln rechtswidrig und rechtsstaatswidrig ist.

Ist das nur wieder die unionstypische und schier unfassbare Ignoranz gegenüber den NSA-Aktivitäten? Oder fehlt Heilmann – immerhin Innensenator Berlins – einfach die Fantasie, um sich die ökonomischen Kosten eines vergeigten Klimagipfels vorzustellen? Und die Konsequenzen der Industriespionage durch die NSA, die sicherlich nicht nur Großunternehmen wie das von Snowden namentlich erwähnte Siemens betrifft, sondern auch den einen oder anderen “Hidden Champion”, der von der Union sonst bei jeder Gelegenheit behütet und bejubelt wird?

Wie auch immer, der Kommentar enthält auch einen Nebenaspekt, den es aus der Perspektive dieses Blogs zu korrigieren gilt:

Datendiebstahl ist nicht die Ausnahme, sondern mittlerweile an der Tagesordnung. Kriminelle interessieren sich brennend für unsere persönlichen Daten, um Wissen, Vermögen, Pläne oder Patente zu stehlen.

Kann man Patente “stehlen”? Gibt es bei Siemens & Co einen Patenttresor, in dem die wichtigsten und kostbarsten Erfindungen vor der Welt geheim gehalten werden? Dazu informiert das Deutsche Patent- und Markenamt:

Ihre Patentanmeldung bleibt 18 Monate lang geheim, danach wird sie offen gelegt, das heißt veröffentlicht. In DPMAregister erscheint ein Hinweis auf Publikation der so genannten Offenlegungsschrift. Diese können Sie ab dem ersten Publikationstag auch in der Datenbank DPMAregister einsehen.

Denn das ist der Sinn des Patentwesens. Patente bieten exklusive Verwertungsrechte für eine Erfindung. Aber:

Im Gegenzug erwachsen dem Patentinhaber auch gesetzliche Verpflichtungen. Mit der Patentanmeldung stimmt er zu, dass seine Erfindung veröffentlicht wird. Ein Patent kann damit anderen Erfindern als Maßstab und Basis für Weiterentwicklungen auf dem betreffenden Gebiet der Technik dienen.

TL;DR: Das Patentwesen beruht nicht auf Geheimhaltung, und das sollte eigentlich auch in der CDU bekannt sein.

Shaked Spier: Zwischen Bibliothekaren und Bücherwürmern. Über das (fehlende) soziale Engagement der Information Community

Shaked Spier schreibt im Bibliotheksdienst (Bibliotheksdienst 46. Jg. (2012), H. 3/4, S. 171-181, PDF in seinem Posting zum Artikel verlinkt) über das fehlende soziale, bzw. politische Engagement der “Information Community”. Er versucht, das Verhältnis zwischen Bibliothek und Urheberrecht, bzw. Bibliothek und Überwachung/Vorratsdatenspeicherung zu beschreiben.

Bei beiden geht es um ein Phänomen, das unseren ethischen Grundsätze und unserer Berufung deutlich widerspricht; ein Phänomen, wofür wir unseren Nutzer/-innen eine Lösung anbieten, solange sie sich physisch in der Bibliothek befinden; ein Phänomen, das der Gesamtgesellschaft schadet und dadurch unserer Tätigkeit auch; ein Phänomen, das uns ausdrücklich betrifft, obwohl es nicht an unseren Bibliothekstresen kommt und auch nie kommen wird.

Darüber kommt er zu der Frage, ob es bibliothekarischen Handlungsbedarf gibt, was er (zusammengefasst) bejaht. Im Abschnitt “Was können wir ändern?” macht er konkrete Vorschläge. Den wichtigsten Teil möchte ich zitieren:

Auf eine offizielle Stellungnahme ist nicht zu verzichten! In Verbindung mit den folgenden Vorschlägen, die auf Teilnahme einzelner Mitglieder/-innen der Information Community basieren, muss die Community als Ganzes eine offizielle Stellung zu den verschiedenen Themen nehmen. Dies kann z.B. durch die AG „Bibliothek und Ethik“ [Link aus Fußnote hinzugefügt] erfolgen.

Diese Stellungnahme soll auf unseren ethischen Grundsätzen aufgebaut und mit sachlichen und professionellen Argumenten begründet sein. Sie soll den professionellen und ethischen Standpunkt von Informationsfachleuten reflektieren und als ein solcher der Öffentlichkeit ankommen.

Das wichtigste Kriterium für eine offizielle Stellungnahme ist die schnelle Reaktion und Aktualität. Um an einer öffentlichen Diskussion teilzunehmen und eventuell Einfluss zu haben, muss die Reaktion schnellstmöglich formuliert und veröffentlicht werden. Denn wenn wir z.B. erst eine Woche nach Entlarvung des Bundestrojaners eine Stellungnahme dazu veröffentlichen, sind wir schon längst von der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen. Egal wie professionell und augenöffnend diese Stellungnahme auch sein mag.

Dass sich die Verbände so gut wie nie äußern, wenn die im Code of Ethics propagierten Werte in Gefahr sind, habe ich in den letzten Jahren oft angemahnt. Daran wird sich in absehbarer Zeit wohl auch nichts ändern.

Im Artikel wird auch vorgeschlagen, Präsenz in sozialen Medien zu zeigen:

Offizielle Facebook-Seite, Twitter und ein Blog sind das absolute Minimum. Dadurch können offizielle Stellungnahmen und deren Diskussion mehr Transparenz gewinnen sowie ein breiteres Publikum (außerhalb der professionellen Community) erreichen.

Ein Anfang wäre gemacht, wenn sich die maßgeblichen VertreterInnen der Branche selbst ins Web trauen würden. Auch dies ist ein mindestens fünf Jahre altes Thema. Hier kann man immerhin auf Besserung durch personelle Veränderungen hoffen.

51 Tatort-Autoren gegen "die Netzgemeinde"

“Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!”

Dies sind die Adressaten eines offenen Briefes von 51 Tatort-Autorinnen, der gerade durch die Medien geht und schon verschiedene Antworten erhalten hat. Der offene Brief ist inhaltlich nicht ernst zu nehmen. Dort ist zum Beispiel die Rede von (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie [die Adressaten, Anm. d. Verf.] gerne Zensur nennen. Wer nennt die VDS Zensur? Ein kleiner Google-Test ergibt einen Treffer für die Phrase “vorratsdatenspeicherung ist zensur”, die sich inhaltlich gegen die Gleichsetzung ausspricht. Für “vorratsdatenspeicherung bedeutet zensur” finden sich gar keine Treffer.

In dem Stil geht es weiter. So wird zu den Schutzfristen im Urheberrecht behauptet, dass nirgendwo eine Argumentation versucht wird, warum gerade diese Eigentumsform überhaupt eine Einschränkung erfahren darf. Ich bin mir nicht sicher, ob man als Tatort-Autor mit den Grundlagen der Recherche vertraut sein muss. Im Trainingshandbuch Recherche steht vielleicht etwas dazu, ich kenne das Buch nicht. Daher hier ein kleiner Crashkurs für informationssuchende DrehbuchautorInnen.

Wenn Sie dies hier lesen, haben Sie es schon einmal ins Internet geschafft – sofern Sie keinen Ausdruck dieses Postings vor sich liegen haben. Herzlichen Glückwunsch!

Von hier ist es nicht weit bis zu so genannten “Suchmaschinen”. Diese Suchmaschinen suchen nicht nur, sie finden auch. Und zwar Informationen nach Ihren Vorgaben. Wenn Sie der Suchmaschine mitteilen, dass Sie gerne Webseiten zu einem bestimmten Thema hätten, geben Sie dort einfach ein paar Stichworte ein und die Suchmaschine schlägt Ihnen passende Webseiten vor.

In unserem Fall können wir es probieren mit der Frage “Warum Schutzfristen”. Gleich der erste Treffer der die auch von Ihnen erwähnten Suchmaschine Google zu dieser Anfrage ist ein Blogposting von Volker Beck (ein Grüner) zu genau diesem Thema. Und natürlich gibt es juristische Fachliteratur in vielen Bibliotheken. Und zum Beispiel die Urheberrechtsfibel (PDF) von Klaus Graf, in der er sich auf S. 142 diesem Thema widmet.

Weitere Auseinandersetzungen mit dem offenen Brief gibt es unter anderem bei Netzpolitik.org und vom CCC (sehr ausführlich).

PS: Oliver Stock schreibt im Handelsblatt:

Die Anrede ist weitschweifig, aber eindeutig: „Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!“ lautet sie und stammt von jenen 51 Autoren, die Deutschland jeden Sonntag Abend mit der neuesten Folge der Krimiserie „Tatort“ beglücken.

Eindeutig? Wer ist denn diese Netzgemeinde?

Fräulein vom Amt fordert Vorratsdatenspeicherung

In einem “Dialogpapier” (PDF) fordern (alle sollen genannt sein) die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Bundesverband Musikindustrie, GEMA – Gesellschaft für musikalische Aufführungs und mechanische Vervielfältigungsrechte, GVU – Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, der Markenverband, Motion Picture Association (MPA), NBC Universal, Sky Deutschland, SPIO – Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, Universal Music Entertainment, VPRT – Verband Privater Rundfunk und Telemedien und VUT – Verband der unabhängigen Musikunternehmen: Vorratsdatenspeicherung für Urheberrechtsvergehen!

Um keine “rechtsdurchsetzungsfreien Teilräume” entstehen zu lassen, fordern die Rechteinhaber daher eine zeitlich ausreichende gesetzliche Speicherverpflichtung der Internetzugangsanbieter hinsichtlich der für die Beauskunftung von Inhabern bestimmter IP-Adressen erforderlichen Daten im Telekommunikationsgesetz. Neben dieser gesetzlichen Speicherverpflichtung muss im Telekommunikationsgesetz klargestellt werden, dass diese wenigen Daten auch zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums verwendet werden können.

Dem stelle man einmal die Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 2. März 2010 des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08, gekürzt) entgegen:

1. Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar; auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an.

[…]

5. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden.

Sind Börsenverein & Co also der Ansicht, es handle sich bei ihrem Anliegen um eine überragend wichtige Aufgabe des Rechtsgüterschutzes, für die man schon einmal in freiheitliche Grundrechte eingreifen kann? Das dachten die Fräuleins vom Amt nach Aufkommen der automatischen Vermittlungstechnik vielleicht auch.

[via Heise]

Petition gegen Vorratsdatenspeicherung ungelesen abgelehnt

Mit einer hanebüchenen Begründung verwirft (PDF) der Petitionsausschuss des Bundestags die Petition gegen Vorratsdatenspeicherung.

Der Bundestag hat am 9. November 2007 das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ beschlossen. In der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 16/5846) ist ausdrücklich vorgesehen, auch die Anbieter öffentlicher Anonymisierungsdienste zur Speicherung der entsprechenden Daten zu verpflichten. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass auch, wer einen sog. Anonymisierungsdienst betreibt und hierbei die Ausgangskennung des Telekommunikationsnutzers durch eine andere ersetzt, einen Telekommunikationsdienst für die Öffentlichkeit im Sinne des § 3 Nr. 24 Telekommunikationsgesetz (TKG) betreibe und damit den Verpflichtungen zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Verbindungsdaten für sechs Monate unterliegt.

Aus Sicht des Petitionsausschusses wird damit den in der Petition geäußerten Bedenken Rechnung getragen. Wenn auch die Anonymisierungsdienste zur Speicherung der Daten verpflichtet sind, dann kann die in der Petition befürchtete Situation nicht auftreten, dass gerade die Teilnehmer an der Telekommunikation, die ein Interesse daran haben, dass ihre Kommunikation insbesondere den trafverfolgungsbehörden nicht bekannt wird, Vorkehrungen treffen können, damit ihre Daten nicht ihrer Person zugeordnet werden können.

FDP und Grüne haben vorgeschlagen, die Petition an den Bundestag weiter zu leiten, der Rest hatte wohl keine Lust, sie überhaupt verstehen zu wollen. Mehr zum Thema findet sich hier.

[via Heise]